Der Klügere hört nicht auf dumme Sprüche.

Fast ein Jahr ist es her seit meinem letzten Beitrag zur Reihe: „Dumme Sprüche, die unbedingt mal jemand auseinandernehmen sollte, im Zweifel ich“. Wer das gut findet, findet hier (*klick*) die bisherigen Episoden. Und dies ist eine weitere! Heute:

Der Klügere gibt nach.

Zugegebenermaßen wurde dieser Spruch schon das eine oder andere Mal ordentlich auseinandergenommen. Am bekanntesten ist wohl die Antwort: „Wenn der Klügere nachgibt, regiert der Dumme die Welt.“ Ja, ist ja schon ganz nett. Was ich jetzt noch spannend finde – was macht denn der Klügere jetzt, wenn nachgeben nicht unbedingt immer klug ist? Ist er einfach nur stur?

Der Klügere gibt vor, nachzugeben. Das macht er, weil er es hinkriegt, den Dümmeren glauben zu lassen, das Kluge wäre seine Idee gewesen. Er kann das machen, weil er nicht an der Anerkennung des Dümmeren hängt und weil er es im Stillen erträgt, dass der Dümmere glaubt, ihn besiegt zu haben. Es reicht ihm, dass er es besser weiß.

Der Klügere kann nachgeben. Er ist nämlich zu klug, um seine Identität daran festzumachen, dass er immer Recht hat.

Der Klügere weiß, wann nachgeben klüger ist. Es gibt ja durchaus Situationen, wo nachgeben tatsächlich klüger ist, nämlich wenn das Verhältnis zwischen dem durchgesetzten Nutzen und der Summe aus dem dadurch angerichteten emotionalen und sachlichen Schaden und dem persönlichen Aufwand nicht gut genug ist.

Allen voran aber: Der Klügere lässt sich nicht von dummen Sprüchen manipulieren. Wenn einer auf sowas in Richtung „Der Klügere gibt nach“ hört – naja, dann sind wohl zwei ziemlich dumme Menschen auf einem Haufen, wenn das schon der Klügere ist.

Wer schön sein will …

So. Gehen wir mal wieder einem meiner Lieblings-Hobbys nach: Dem Sprüche-auseinander-rupfen. Die bisherigen Ausgaben dieser einmaligen Serie hier.

Heute ein Klassiker:

Wer schön sein will, muss leiden.

Den hört man, wenn die schönen Schuhe unangenehm sind oder man sich über den Aufwand des Beinerasierens beschwert. Damit soll gesagt werden: Wenn man schön aussehen will, muss man eben Unbequemlichkeiten in Kauf nehmen.

Klingt logisch.

Ist aber falsch.

Diese ganze Rechnung macht nur oberflächlich Sinn.
Oberflächlich gesehen sind schöne Schuhe schön und glatte Beine auch. Oberflächlich gesehen gibt es viele Sachen, die irgendwie schön sind und die man manchmal nur über Unbequemlichkeiten erreichen kann.

Nur, dass das nie die Sachen sind, die die Schönheit im Endeffekt dann ausmachen.

Ein ganz großer Teil von Schönheit – vielleicht sogar der entscheidende – ist Ausstrahlung. Das ist etwas, was man nicht tragen, aufschminken oder wegrasieren kann. Es ist etwas, das daher rührt, wie ich über mich selbst denke, wie ich mit mir selbst und meinem Körper umgehe, wie ich über andere denke und wie es mir gerade geht. Ein wertschätzender und entspannter Umgang mit dir selbst ist folglich gut für deine Schönheit.

Merkste was? – Ein entspannter Umgang mit dir selbst ist gut für deine Schönheit. Der Spruch „Wer schön sein will, muss leiden“ zeugt nicht gerade von diesem entspannten Umgang, sondern eher von einem fast schon verkrampften Verhältnis zu sich selbst.

Vielleicht ist das auch ein bisschen zu hoch gedacht. Brechen wir es mal runter auf die rein optische, körperliche Ebene.
Ich weiß nicht, ob es nur mir so geht, aber ich empfinde diese „Schönheitsmerkmale“, für die man leiden muss, oft gar nicht so besonders schön. Sind die Schuhe/Kleider/Hosen/…, in denen man leidet, echt die schöneren? – Ich weiß ja nicht. Sind die Fingernägel, an denen ein Mädchen Stunden verbracht hat, echt so viel schöner als die natürlichen? – Hm.

Ich finde, man kann auch sehr gut schön sein, ohne dafür zu leiden. Und ich finde, oft ist das sogar noch schöner. Innerlich und äußerlich. Für mich und andere.

Ich sage übrigens nicht, dass man nicht ab und zu mal was unangenehmes tun darf, um schön zu sein. Mach ich ja ebenfalls. Solange man beachtet: Wer schön sein will, darf leiden. Aber er muss nicht. Sobald ich merke, dass ich das Gefühl habe, ich muss, gehen bei mir alle Alarmglocken an, und ich erinnere mich daran, dass ich auch so schon schön bin. Ich darf weitermachen und weiter daran arbeiten – aber ich muss es nicht, um schön zu sein. Weil ich so schon schön bin.

Und du übrigens auch.

Sprüche-Auseinanderrupf-Kommando in 3 … 2 … 1 …

Ahnungslos klickte ich heute in einem nicht näher definierten sozialen Netzwerk herum, als ich plötzlich frontal angegriffen wurde. Ein Satz zu einem Selfie, so kitschig und möchte-gern-tiefsinnig wie es nur eben geht, und zusätzlich noch von Grund auf falsch.

Es sind die Starken im Leben, die unter Tränen lachen, ihr eigenes Leben verbergen, um andere glücklich zu machen.

Nein, das sind die Dummen.

  1. Du wirst einen anderen niemals wirklich glücklich machen können und es wird auch nie ein anderer dich glücklich machen können. Ich stelle mir manchmal vor, dass Menschen so vielschichtig sind wie Zwiebeln, und dass verschiedene Gefühle und Verletzungen unterschiedlich tief gehen und unterschiedlich viele Schalen betreffen. Das Glück, welches du in anderen erzeugen kannst, betrifft nur auf die äußeren Schichten. Du wirst nie einen Menschen so glücklich machen, dass ihn das durchdringt.
  2. Du wirst nicht alle gleichzeitig glücklich machen können. Selbst wenn du die einen soweit wie möglich glücklich machst, gefällst du den anderen nicht.
  3. Du wirst daran kaputt gehen. Wenn du andere glücklich machen willst, rennst du dein Leben lang deren Erwartungen hinterher, wirst leer, ausgelaugt und bitter. Außerdem verlierst du dein Rückgrat. (Oder du bildest nie eins.)
  4. Du kannst nicht „dein Leben verbergen“ und „andere glücklich machen“ gleichzeitig. Wenn du vom Hinter-Erwartungen-herlaufen leer, ausgelaugt und bitter wirst, kannst du andere nicht mehr glücklich machen, auch wenn du es „verbirgst“ und „unter Tränen lachst“.
    Nur wenn du selbst mit Frieden gefüllt bist, kannst du Frieden weitergeben.
    Nur wenn du selbst mit Freude gefüllt wirst, kannst du Freude weitergeben.
    Nur wenn du selbst mit Glück gefüllt bist, kannst du Glück weitergeben.
    Was du nicht hast, kannst du nicht geben.
    Klingt logisch, oder?
  5. Was ist daran stark, sein Leben zu verbergen und eine lachende Maske aufzusetzen? Viel stärker ist es, sie abzunehmen und sich dem zu stellen, wer man wirklich gerade ist, weder sich selbst noch anderen etwas vorzuspielen, sich zu öffnen, verletzlich zu machen, bewusst Schwäche und Schmerz zu empfinden, und dann vielleicht um Hilfe zu fragen, vielleicht daran weiterarbeiten, und so weiter. Masken sind ein Zeichen von Schwäche, sei es emotional, charakterlich oder sonstwie.
  6. Ich höre aus diesem Satz heraus, das diejenige Person andere nicht mit ihrem Leben belasten will. Korrigiert mich, wenn ich falsch liege. Mal angenommen, es stimmt: Das funktioniert nicht. Jedenfalls nicht bei sensiblen Menschen wie beispielsweise mir. Ich spüre so oder so, dass da etwas ist, und mich macht es glücklicher, wenn derjenige sich öffnet und mir alles erzählt und meine Hilfe (und wenn es nur Zuhören ist) annimmt als wenn er sich versteckt, um mir nicht zur Last zu fallen. Das (also das nicht zur Last fallen wollen) ist für mich viel eher eine Last. Es erzeugt im schlimmsten Falle Befremdung, Oberflächlichkeit und sogar Angst. Und ich denke, da geht es nicht nur mir so.
  7. Außerdem klingt für mich der Spruch so, als würde die Person die anderen über sich selbst stellen. Das ist etwas, bei dem man sehr vorsichtig sein muss. Es klingt total vorbildlich, ich weiß. Aber: Bevor du in deiner Identität und deinem Charakter nicht fest bist und bevor du deine emotionalen Grenzen nicht kennst und einhalten kannst, solltest du das nicht tun. Versuche, die anderen mit dir auf eine Stufe zu stellen, und lasse dich bitte bitte nicht von ihnen bestimmen, und in gar keinem Fall so, wie in dem Zitat beschrieben. Dich dazu bringen zu lassen, aufgrund von dem Glück anderer dein eigenes Leben zu verbergen, ist schrecklich.

Um dem Spruch wenigstens ein bisschen seiner Würde zurückzugeben:
Ich finde den Ansatz gut, trotz Schmerz zu lachen.
Und es ist ehrenwert, nicht immer alles um sich drehen zu lassen, sondern einen großen Teil seiner Zeit für andere da zu sein, was in diesem Satz zumindest angedeutet wird.

Merke:
Nicht alles, was tiefsinnig klingt, ist auch tiefsinnig.
Besondere Vorsicht ist bei Kitsch geboten.

Und:
Du kannst keine andere Menschen glücklich machen.
Dein Leben Verbergen erzeugt zudem gar kein Glück.

So. Eine weitere Etappe geschafft im Kampf gegen blöde, pseudo-tiefsinnige Sprüche.

Die Vorgänger:
Never give upSelbstlob stinktSag deiner wütenden Freundin, dass sie süß aussieht

Never give up, bis du schwarz wirst.

(Zur Reihe: „Blöde Sprüche, die gar nicht stimmen“. Zu „Selbstlob stinkt“ hierlang.)

Gib auf!

Ich meins ehrlich. Gib auf! Mach Schluss, lass es sein, gib es auf.

Warum sagst du das, Sina? Was ist denn mit „Never ever ever give up!“ und diesen ganzen Sprüchen?

Diese Sprüche sind fast schon eine Seuche. Sie verallgemeinern, was man nicht verallgemeinern kann.

Die eine Hälfte des Spruches ist wahr. Gib dich niemals auf. Gib niemals auf, deinen Platz und deinen Wert zu finden. Gib niemals auf, wenn du weißt, dass es der richtige Weg ist.

Aber ich kenne Menschen, die depressiv geworden sind und im Burnout gelandet sind, weil sie diesen Spruch falsch angewendet haben. Sie haben auch niemals aufgegeben, und es hat sie ihre Lebensfreude gekostet.

Es ist Stärke, zu wissen, wann ich aufgeben soll. Wer etwas aufgeben kann und sich wie ein Versager fühlen kann, ohne seine Identität davon beeinflussen zu lassen, ist wirklich stark. Sehr, sehr oft müssen wir Sachen einfach aufgeben, um Platz für etwas größeres zu haben. Ich habe Klavier spielen aufgegeben, obwohl ich es wirklich mochte. Ich wusste aber, dass das nicht mein Weg ist. Einiges von dem, was ich heute tue, hätte keinen Platz in meinem Leben, wenn ich noch Klavier spielen würde.

Wir geben zu selten auf. Wir dürfen häufiger sagen: „Hey, ist nicht mein Ding, hat nicht funktioniert, ich lasse es.“ Wenn wir aufhören würden, mit lauten „Never give up!“-Parolen irgendeinen Weg entlang zu rennen, würden wir häufiger den richtigen Weg nehmen. Wenn wir innehalten, nachdenken und umkehren könnten, ohne als Versager zu gelten, wären mehr Leute am richtigen Platz.

„Never give up“? Ja. Deine Identität, dein Leben, deine Visionen.
„Never give up“? Nein. Was du tust, womit du deine Zeit füllst, deine Ziele.

Also, gib mal ein bisschen auf, auch wenns schwer ist. Und wenn du dich weigerst: Du kannst natürlich auch niemals aufgeben, bis du schwarz wirst. Es wird dich nicht glücklicher machen.

„süß“ aussehen – okay, aber …

Kennt ihr diese übertrieben kitschigen, pseudo-tiefgründigen und mit Rechtschreibfehlern durchsetzten Texte oder Sprüche, die vor allem von träumerischen Mädchen im Vor-Teenie-Alter auf Facebook verlinkt, geteilt und gelikt werden? Letztens bin ich mal wieder auf so einen gestoßen. Es war eine Liste mit Anweisungen, wie eine Freund seine Freundin zu behandeln habe, und ein Punkt auf der Liste war, er solle ihr sagen, dass sie süß aussehe, wenn sie wütend sei.

Moment mal – WAS?!! Mein lieber zukünftiger Freund, wenn du das auch nur ein einziges Mal machst, bist du tot. Ich will doch nicht süß aussehen, wenn ich wütend bin! Wenn ich wütend bin, dann will ich einen Blick drauf haben, der allen das Gefühl gibt, winzig kleine, schutzlose Kellerasseln zu sein. Wenn ich wütend bin, dann will ich so eine unbändige Kraft haben, dass alle sich selbst und alles, was ihnen lieb ist, in Deckung bringen, weil klar erkennbar ist, zu was ich dann in der Lage bin. Wenn ich wütend bin, soll allen klar sein, dass ich die Welt verändern kann und mehr. Dann soll mich keiner, aber wirklich auch keiner, als „süß“ etikettieren, selbst wenn es mein Freund ist. Wer will denn süß aussehen beim wütend sein? Wer wünscht sich denn sowas? Hä?! Ich verstehs nicht.

Also, nur damit das klar ist: DU nennst mich NICHT süß, wenn ich wütend bin!

Selbstlob stinkt?!

Tut es das?

Was ist das für eine Kultur, in der man sich selbst nicht loben darf?
Was ist das für eine Kultur, in der man nicht stolz auf sich sein darf?
Was ist das für eine Kultur, in der Minderwertigkeitskomplexe als Tugend gelten?
Was ist das für eine Kultur, in der man sich immer schlecht finden muss, damit andere einen gut finden?
Was ist das für eine Kultur, in der man sich schlecht machen muss, um nicht als arrogant zu gelten?

Wo bleibt denn da das realistische?

Hör mir mal zu.
Du hast Schwächen und Stärken, und es zeugt von Charakter, wenn du beides zugeben kannst. Du bist nicht bescheiden, wenn du deine Fähigkeiten und Stärken herunterspielst. Davon bist du auch nicht arrogant, wenn du sie benennst. Arrogant bist du, wenn du dich aufgrund dessen für jemand besseren hältst.

Es ist gut, realistisch zu sein. Tu nicht so, als hättest du keine Stärken. Tu nicht so, als wärst du schlechter als alle anderen. Tu nicht so, als hättest du keine Schwächen. Tu nicht so, als wärst du besser als andere.

Und spiele vor allem nicht vor, du würdest dich schlecht finden, um Komplimente und Ermutigung zu ernten, und dich insgeheim doch irgendwie für besser hältst.

Wenn sich jemand selbst lobt oder stolz auf sich ist, und es stört dich, dann frag dich mal, warum.

Selbstlob stinkt nicht. Wenn Selbstlob in deiner Nase stinkt, dann prüfe mal, wie hoch du deine Nase trägst.