Man muss wissen, dass Schlafsäcke in meiner Familie eine besondere Position einnehmen. Wir wissen alle, warum man Schlafsäcke in ihre Hüllen stopft und sie nicht vorher zusammen rollt oder warum man sie nicht über längere Zeit in ihren Hüllen aufbewahren soll. Wir wissen, dass es in guten Schlafsäcken das wärmste ist, möglichst wenig anzuhaben, und dass man für warme Füße den Fußraum verkleinern muss. Bei uns meckert keiner rum, weil er im Schlafsack schlafen soll. Wir haben unsere Schlafsäcke stundenlang in Rücksäcken herumgeschleppt. Sie haben Waldböden, Wiesen, Zelte und Zimmer kennen gelernt. Sie haben uns an verschiedenen Orten der Welt gedient. Und zumindest ich habe zu meinem Schlafsack in all der Zeit fast schon eine persönliche Beziehung aufgebaut.
Und heute gehe ich auf den Dachboden, um ihn mal wieder in seinen Dienst zu rufen. Ich ziehe die Kiste mit meinem Schlafsack zwischen all den anderen hervor und mache sie auf. Da ist er. Ich fasse mit meiner Hand hinein und rieche diesen Geruch, und mit einem Mal bin ich nicht mehr auf dem Dachboden. Ich bin am Meer und lese nach einer anstrengenden Windsurfeinheit. Ich bin auf dem Segelschiff und versuche, irgendwie aufzuwachen. Ich liege nachts auf dem Waldboden wach und höre dem Wind und den Blättern zu. Ich bin mitten in einer Schlacht Würmercatchen (also Prügeln im Schlafsack) zum Aufwachen auf einer großen Wiese. Ich übernachte bei Freunden, liege in Zelten, bin im Urlaub.
Man könnte meinen, mein Schlafsack stinkt nach Käsefüßen, Schweiß, Dreck und Lagerfeuer, doch es ist nicht so. Objektiv gesehen riecht er wahrscheinlich nach gar nichts, höchstens nach Baumwolle und Polyester und vielleicht noch nach Dachboden, aber für mich riecht er nach Urlaub, Abenteuer, frei sein, raus können aus diesem langweiligen, anstrengenden, zivilisierten Alltagsleben, und trotzdem nach Geborgenheit, Wärme, Zuflucht und zu Hause. Ich grinse. Ferien-wegfahr-Gefühl, und das ohne Ferien. Nur ein Wochenende, nicht draußen schlafen und keine großen Abenteuer – trotzdem. Mein Schlafsack kommt mit, und mit ihm der kuschelige, weiche und warme Rückzugsort meiner Feldzüge. Hach, ich fühl mich ganz poetisch und glücklich und fast kitschig, aber nein, kitschig bin ich ja nicht, also nur poetisch und glücklich. Das Geräusch vom Reißverschluss, das vertraute Gefühl, als ich ihn in seine Hülle stopfe –
So, und jetzt wird weitergearbeitet, verdammt. Was soll der Quatsch. Das ist nur ein Schlafsack.
Also, ich habe an meinem Schlafsack gerochen.
Folgende Erinnerungen haben sich aufgedrängt:
– Wie ich auf einer Kuhweide lag, die Sterne anguckte, und die Kühe um mich rum einen Kreis bildeten und mich anguckten.
– Wie ich mal morgens um Sechs geweckt wurde durch einen italienischen Bauern, der mein Zelt auch gleich wegschleppte. Wie ich sah… der hatte eine Seilbahn eingerichtet, um Baumstämme über das Tal zu befördern. Die Baumstämme hätten dem Zelt wehgetan.
– Ich stellte mal nach einer sehr mühsamen Wanderung (Höhenverlauf 2200 m –> 2919 m –> 1900 m, plus miserables Wetter) mitten in einem kleinen verlassenen Alpenkaff mein Zelt auf. Die Nacht war erholsam. „Hach, ich liege noch ein wenig im Zelt, ist doch grad so ruhig und ich muss über die vergangene Bergtour nachdenken…“. Ja. Und als ich mit dem Nachdenken fertig war, fing der Regen wieder an. Argh.
– Wie ich mal eine ganze Nacht lang fror, als ich in einem sehr verlassenen Tal unterwegs war. Nur in der Embryohaltung war es einigermassen erträglich.
– Sonnenaufgänge.
Boah, bist du geil! Ich weiß auch ganz genau wie mein Schlafsack riecht, unvergleichlich! Im Schlafsack hat man Zuhause Urlaub und im Urlaub etwas Zuhause <3
Großes Tennis, Applaus!
Das trifft es genau! :-)