Im Deutschunterricht.
Ganz ruhig sitzt er da, ganz aufmerksam, nicht steif, aber gerade. Er dreht seinen Kopf zu dem, der gerade redet und sieht die Person direkt an. Ich weiß, dass er unseren Deutschlehrer bewundert, aber das ist auch nichts besonderes, denn das tun viele im Kurs. Wenn der Lehrer etwas sagt, Denkanstöße gibt, dann scheint es, als würde er die Wörter in sich aufsaugen. Überhaupt scheint er alles aufzusaugen, was passiert. Er lächelt in sich hinein, wenn er etwas versteht. Und dann, ganz manchmal, meldet er sich und präsentiert einen wohl überlegten und reflektierten Beitrag.
Die ganze Zeit hibbelt sie mit ihrem Bein. Dadurch wackelt der uralte Holzboden und durch den Boden auch mein Stuhl. Alle paar Wackler mit dem Beim schaut sie auf ihr Handy, und alle paar Blicke auf ihr Handy schreibt sie jemandem etwas. Ab und zu wendet sie sich mir zu, um mich etwas zu fragen, weil sie es verpasst hat, oder um mir mitzuteilen, a) dass ihr langweilig ist, b) dass sie Hunger hat oder c) dass sie müde ist. Der ganze Inhalt der Stunde zieht ziemlich spurlos an ihr vorbei. Nur ganz manchmal streift er sie, und wenn das mal so ist, dann erklärt sie ihren Gedankengang kurz mir – zur Sicherheit – und dann dem Lehrer. Wenn er das gut aufnimmt, wendet sie sich zufrieden wieder ihrem Handy zu. Alle paar Unterrichtsstunden erzählt sie mir ein bisschen was aus ihrem Leben – einem sehr kaputten Leben mit ihr als gebrochene Protagonistin. Aber sie wird nicht emotional, sie zuckt mit den Achseln. Das ist halt so, sagt sie – hibbelt, schaut auf ihr Handy und schreibt irgendwem zurück.
Manchmal erinnert er mich an ein Maschinengewehr. Tatatata – alles raus, hintereinander weg geschossen. Seine Ideen, seine Gedanken, seine Fragen, seine Antworten – alles wirft er erst mal in den Raum. Dabei ist es für ihn kein Kriterium, ob es peinlich sein könnte oder ob es komisch klingen mag. Dabei kommen ganz unterschiedliche Beiträge hervor – von totalem Müll bis zu genialen Ideen ist alles dabei. Manchmal knackt er nachdenklich mit seinen Fingern oder kaut auf seiner Unterlippe herum. Er liebt es, Aussagen mit Mimik, Gestik und Tonfall zu unterstreichen. Er ist ein Schauspieler, der sich selbst spielt, und der auch keine Angst davor hat, sich selbst auf die Schippe zu nehmen.
Wenn mein Deutschlehrer ein Tier wäre, dann wäre er zweifellos ein Wolf. Nicht der böse Legendenwolf, sondern der weise, alte Denkerwolf. Oder auch ein Leitwolf. Er bildet Referendare aus, und wenn man ihn dann mit seiner Horde von drei bis zehn jungen Refs über den Schulhof ziehen sieht, ist er wirklich wie ein Wolf mit seinem Rudel. Er ist so durch und durch Lehrer, wie es nur geht. Wie er es liebt, uns etwas beizubringen, uns Zusammenhänge zu erklären und uns manchmal auch in unser Weltanschauung herausfordern! Er scheint gegen allen Stress immun. Seine Stimme wird kein bisschen aggressiver, wenn etwas nicht klappt oder er angegriffen wird. Manchmal wirkt er ein bisschen wie ein Philosoph, der die Gesetze der Welt durchschaut hat. Und wenn er uns ein Gedicht vorstellt oder uns einer Lektüre näher bringt, erinnert er mich manchmal an einen kleinen Jungen mit seinem Lieblingsspielzeug. Der Lehrer.
Das alles beobachte ich im Unterricht. Alles Menschen, hinter denen eine Geschichte steht. Spannend. Wie würde ich wohl beschrieben werden?
wow, cool beobachtet. hab so eine Vermutung, wer das sein könnte, dein Deutschlehrer, ist es ein landwirtschaftlicher Beruf?
Danke :-) Haha, nein, ist es nicht. Er hat nur uns als Kurs, sonst macht er nur die Referendare, deswegen könnte es sogar sein, dass du ihn gar nicht kennst. Ich kann dir bei Gelegenheit ja mal sagen, wer das ist :-)
„ein Schauspieler, der sich selbst spielt“
Wunderschön :)
Danke :-)