Ode an das langweilige Leben

Dies ist meine Ode, meine Hymne, mein Lobgesang auf all das wunderbar Langweilige im Leben.

Meine Ode daran, nicht frisch verliebt zu sein. Oh, wie kann man es nur genießen, ein vernebeltes Hirn und eine nervöse Seele zu haben? Wie kann man es nur mögen, wenn ein Mensch, dem man doch noch gar nicht so vertraut ist, solche Macht über einen hat? Wie viel schöner ist es doch, im Geist frei und mit der Seele präsent zu sein und die kleinen Dinge im Leben genießen zu können. Es ist schön, sich tagsüber konzentrieren und nachts schlafen zu können. Für all dies gebe ich die knisternde Spannung, die Schmetterlinge im Bauch und die magischen Momente liebend gerne auf. Zu anstrengend, zu unsicher, zu wenig Kontrolle darüber. Zu wenig Energie übrig für alles andere.

Meine Ode daran, zu Hause zu sein und einfach mal nicht zu reisen. Wissen, wo alles ist. Alles da haben, was man braucht. Sich zurechtfinden. Vertraut sein mit seiner Umgebung. Wege parat haben, mit denen man auftretende Probleme lösen kann. Sprache und Umgangsformen beherrschen, ohne darüber nachdenken zu müssen. Die besten Läden, Restaurants und Spazierwege kennen. Seine Leute in der Nähe haben. In selbst eingerichteten vier Wänden sein. Das Klima kennen. Wissen, was einem schmeckt. Es ist so schön, wenn die Dinge so funktionieren, wie ich es kenne und vorhersehen kann. Das macht es locker, macht es leicht.

Meine Ode an die Routine. Oh, Routine und Alltag ist alles für einen Menschen wie mich. Routine hält mich im Gleichgewicht. Routine sorgt dafür, dass ich genug esse, genug schlafe, mich genug bewege und nicht stinke. Routine macht, dass ich aus Löchern wieder rauskomme und in andere gar nicht erst falle. Routine, das bedeutet, dass ich Pläne machen kann, die funktionieren. Routine und Alltag heißt, dass ich tun kann, ohne allzu viel nachzudenken, und oh, was für eine wundervolle Freiheit gibt das meinen Gedanken! Dann bin ich kreativ, empathisch, bei mir selbst. Dann habe ich Kraft für all die Dinge, für die ich Kraft haben will.

Meine Ode daran, beruflich einen geraden Weg zu gehen. Vielleicht manchmal langsam oder holpernd, aber in eine bestimmte Richtung unterwegs zu sein. Wie wunderbar ist es, dass ich mein Ziel abstecken kann und im Großen und Ganzen weiß, wo ich hinwill! Nein, nichts zieht mich in die Zeit zurück, wo ich mir unsicher war, was es werden soll. Wo gefühlt alles möglich war und umschauen und ausprobieren dran war. Ich will keine tausend Möglichkeiten. Ich will eine einzige, die mir gefällt.

Meine Ode an dieselben fünf Freunde, die ich zu meinen engen Vertrauten zähle, und an die weiteren zehn, mit denen ich ab und zu Kontakt habe. Wie schön, Menschen zu haben, denen ich nicht mehr viel erklären muss, sondern die einfach Bescheid wissen. Bei denen ich weiß, wie sie ticken, und die wissen, wie ich ticke. Mit denen ich schon lange bestimmte Themen habe oder bestimmte Interessen teile. Die vertraut sind. Denen ich nichts beweisen muss. Die ich nicht mehr schocken kann. Die mich bereits so angenommen haben, wie ich bin.

Im Großen und Ganzen ist dies meine Ode an die Vertrautheit. An die Sicherheit. An das Alte.

Und daran, so vieles nicht zu müssen. Mich nicht auf etwas Neues einlassen zu müssen. Keine Veränderung durchmachen zu müssen. Mich mancher Herausforderung nicht stellen zu müssen. Keine Entscheidungen treffen zu müssen. Keine Abenteuer erleben zu müssen.

Oh, es ist so wundervoll, gerade mal keine Abenteuer erleben zu müssen!

Dies ist meine Ode an das langweilige Leben. Wie gut, dass es das langweilige Leben gibt. Es gibt meiner Seele Boden, auf dem sie gedeihen kann. Es verwurzelt mein Sein und gibt mir Halt. Es erdet mich und gibt meinem Inneren Freiheit. Es bringt mich nach all den Abenteuern wieder ins Gleichgewicht. Ich liebe das langweilige Leben. Hoffentlich darf ich hier ein bisschen bleiben.

So viel lieber heute

Ein Text vom 4. Januar – und ja, ein bisschen ist das derselbe Text wie „Eine kleine Runde“

In der viel zu großen, roten Gartenjacke meiner Tante sammel ich mit taub gefrorenen Fingern Holz aus dem Schnee. Das Holz hat mein Cousin zuvor gehackt. Seine beiden blonden Kinder haben währenddessen am Fenster gestanden und große Augen gemacht. „Bumm. Papa bumm“, hat der Kleine gesagt. „Boah, Papa ist ganz schön stark“, hat die Große gesagt. Jetzt sind die drei wieder weg und ich sammel das Holz auf.

Das letzte Jahr war eine eigene Ewigkeit. Es ist so viel passiert und es hat sich so viel verändert, dass ich lieber gar nicht darüber nachdenke. Es war schwer.

Jetzt ist es vorbei. Jetzt bin ich hier, trage eine roten Jacke und spüre meine Finger nicht mehr. Was spielt es schon für eine Rolle, was war?

Ich schaue zum Fenster hoch. Meine Tante winkt. Es gibt Feldsalat mit Sonnenblumenkernen drin und Ahornsirup im Dressing. Das lieben wir zwei. Und später werden wir genüsslich zusammen Kakao schlürfen. Ich grinse. Heute ist ein guter Tag. So viel lieber lebe ich im Heute als irgendwo sonst.

Helden

Jeder will ein Held sein. In Büchern und Filmen sind sie immer so toll, mutig und stark, aber vor allem bewundernswert. Vielleicht wolltest du schon mal einer von ihnen sein. Wahrscheinlich. Und vielleicht warst du, genau wie ich auch, ernüchtert, als du dir daraufhin deine eigene Situation und dein eigenes Leben angeguckt hast. Wo sollen wir denn bitte Helden sein? Warum sieht denn keiner unsere Mühe, heldenhaft zu werden? Warum bemerkt keiner die kleinen Taten, die wir schon getan haben? – Diese Fragen haben wir uns doch gestellt, oder? Und wir haben uns gedacht: Ja, wenn ich in der Situation von einem dieser Filmhelden gewesen wäre, dann hätte ich auch so tolle Heldentaten vollbracht. Aber stattdessen bin ich hier und alles ist irgendwie grau und alltäglich.

Und gerade deshalb bist du ein Held. Weil du in allem Grauen und Alltäglichen weitergehst und weitermachst. Weil du nicht stehen bleibst, trotz aller Zweifel und Fragen. Weil du dich davon, dass du den Weg nicht kennst, von nichts abhalten lässt. Dein Herz befiehlt – und du folgst. Du veränderst, weil alles verändert, was von Herzen kommt. Du stehst auf, auch wenn sich dieses Aufstehen manchmal eher nach Fallen anfühlt. Und du strahlst, bist ein Krieger des Lichts. Es ist schwer zu glauben, dass du es selbst nicht bemerkst. Dass du nicht siehst, wie sehr du doch schon Held bist.

Wenn ich dich beobachte, kann ich dich leuchten sehen.

Menschen beobachten

Im Deutschunterricht.

Ganz ruhig sitzt er da, ganz aufmerksam, nicht steif, aber gerade. Er dreht seinen Kopf zu dem, der gerade redet und sieht die Person direkt an. Ich weiß, dass er unseren Deutschlehrer bewundert, aber das ist auch nichts besonderes, denn das tun viele im Kurs. Wenn der Lehrer etwas sagt, Denkanstöße gibt, dann scheint es, als würde er die Wörter in sich aufsaugen. Überhaupt scheint er alles aufzusaugen, was passiert. Er lächelt in sich hinein, wenn er etwas versteht. Und dann, ganz manchmal, meldet er sich und präsentiert einen wohl überlegten und reflektierten Beitrag.

Die ganze Zeit hibbelt sie mit ihrem Bein. Dadurch wackelt der uralte Holzboden und durch den Boden auch mein Stuhl. Alle paar Wackler mit dem Beim schaut sie auf ihr Handy, und alle paar Blicke auf ihr Handy schreibt sie jemandem etwas. Ab und zu wendet sie sich mir zu, um mich etwas zu fragen, weil sie es verpasst hat, oder um mir mitzuteilen, a) dass ihr langweilig ist, b) dass sie Hunger hat oder c) dass sie müde ist. Der ganze Inhalt der Stunde zieht ziemlich spurlos an ihr vorbei. Nur ganz manchmal streift er sie, und wenn das mal so ist, dann erklärt sie ihren Gedankengang kurz mir – zur Sicherheit – und dann dem Lehrer. Wenn er das gut aufnimmt, wendet sie sich zufrieden wieder ihrem Handy zu. Alle paar Unterrichtsstunden erzählt sie mir ein bisschen was aus ihrem Leben – einem sehr kaputten Leben mit ihr als gebrochene Protagonistin. Aber sie wird nicht emotional, sie zuckt mit den Achseln. Das ist halt so, sagt sie – hibbelt, schaut auf ihr Handy und schreibt irgendwem zurück.

Manchmal erinnert er mich an ein Maschinengewehr. Tatatata – alles raus, hintereinander weg geschossen. Seine Ideen, seine Gedanken, seine Fragen, seine Antworten – alles wirft er erst mal in den Raum. Dabei ist es für ihn kein Kriterium, ob es peinlich sein könnte oder ob es komisch klingen mag. Dabei kommen ganz unterschiedliche Beiträge hervor – von totalem Müll bis zu genialen Ideen ist alles dabei. Manchmal knackt er nachdenklich mit seinen Fingern oder kaut auf seiner Unterlippe herum. Er liebt es, Aussagen mit Mimik, Gestik und Tonfall zu unterstreichen. Er ist ein Schauspieler, der sich selbst spielt, und der auch keine Angst davor hat, sich selbst auf die Schippe zu nehmen.

Wenn mein Deutschlehrer ein Tier wäre, dann wäre er zweifellos ein Wolf. Nicht der böse Legendenwolf, sondern der weise, alte Denkerwolf. Oder auch ein Leitwolf. Er bildet Referendare aus, und wenn man ihn dann mit seiner Horde von drei bis zehn jungen Refs über den Schulhof ziehen sieht, ist er wirklich wie ein Wolf mit seinem Rudel. Er ist so durch und durch Lehrer, wie es nur geht. Wie er es liebt, uns etwas beizubringen, uns Zusammenhänge zu erklären und uns manchmal auch in unser Weltanschauung herausfordern! Er scheint gegen allen Stress immun. Seine Stimme wird kein bisschen aggressiver, wenn etwas nicht klappt oder er angegriffen wird. Manchmal wirkt er ein bisschen wie ein Philosoph, der die Gesetze der Welt durchschaut hat. Und wenn er uns ein Gedicht vorstellt oder uns einer Lektüre näher bringt, erinnert er mich manchmal an einen kleinen Jungen mit seinem Lieblingsspielzeug. Der Lehrer.

Das alles beobachte ich im Unterricht. Alles Menschen, hinter denen eine Geschichte steht. Spannend. Wie würde ich wohl beschrieben werden?