„Und was machst du jetzt mit deiner freien Zeit? Willst du reisen? Ich würde reisen!“
Der begeisterte, erwartungsvolle Blick in ihren Augen verwirrt mich etwas.
„Nee“, sage ich, unfähig, das gerade auszuführen. Reisen, das war so sehr keine Option für dieses Jahr, dass ich nicht einmal darüber nachgedacht habe.
„Warum nicht?“
Tja. Warum nicht? Weil ich ehrlich gesagt froh bin, wenn ich einfach mal zu Hause sein kann. Weil ich zu Hause liebe. Zu Hause sein und nur zu lernen und zu arbeiten, das ist etwas ganz anderes als zu Hause sein und frei zu haben. Und das hatte ich so lang nicht mehr! Warum sollte ich jetzt wegfahren und das verpassen wollen?
Wieso wird eigentlich von so vielen Menschen davon ausgegangen, dass Reisen für jedermann ist? Wieso ist das momentan so eine unverhältnismäßig populäre Leidenschaft, dass Menschen mir gegenüber davon ausgehen, dass ich sie teile? Dass ich begründen muss, wenn ich sie nicht teile? Das muss bei so ziemlich allen anderen Hobbys doch auch niemand.
Aber hey, ich sag euch, warum ich diese Leidenschaft für´s Reisen nicht teile.
Reisen, das bedeutet, an einem Ort zu sein, den ich nicht kenne. Das wiederum bedeutet, dass ich mich ständig zurecht finden muss. Die kleinsten Fragen – wie funktioniert hier der öffentliche Nahverkehr, ich brauche eine Apotheke, ist es hier kulturell akzeptabel wenn ich im Restaurant um Salz bitte – benötigen Zeit, Energie, Nerven. Klar, das ist auch das Abenteuer daran, und ganz selten finde ich das auch mal cool. Aber hungrig zu sein, weil das fremde Essen, dass ich mir entweder aus Neugier oder mangels Alternativen besorgt habe, echt eklig schmeckt, ist beschissen. Und wie schön ist es bitte, genau zu wissen, wo es die beste Pizza gibt, den kürzesten Weg von dort zur nächsten Apotheke zu kennen und nicht mein Handy zu brauchen, um zu wissen, wann der nächste Bus fährt? Für mich bedeutet das ganz viel Freiheit. Diese Freiheit kann ich nutzen für die Dinge, die mir wirklich wichtig sind. Ich kann zur Ruhe kommen, malen, schreiben, lange Wandertouren machen… und mich danach in mein eigenes Bett kuscheln.
Und jaja, neue Kulturen kennen lernen und so. Aber wisst ihr eigentlich, dass ihr das auch nicht tut? Als ich acht Monate in Malaysia gewohnt habe, habe ich quasi nur mit Einheimischen zu tun gehabt und deren Alltag und Lebensweise mitbekommen. Und trotzdem würde ich sagen, ich kenne die Kultur dort nicht wirklich. Die vollen acht Monate lang waren ein Kreislauf von „Hä, verstehe ich nicht“ zu „Ah, jetzt hab ich´s!“ und wieder zurück zu „Nee, hab´s doch noch nicht verstanden“. Zudem könnte ich dreißig Jahre dort leben und wüsste immer noch nicht, wie Malaysia ist, wenn man zufällig keine rothaarige, weiße, im Vergleich mit den Asiaten große Frau ist, die die Welt durch ihre deutsche Brille sieht. Also ein Urlaub? Rumreisen? Und dabei Kulturen kennen lernen? Vergiss es. Was du danach kennst, ist eine Disney-Touristen-Version. Das ist wie der eine Malaysier, der zu mir meinte: „Germany? Yeah, I’ve been to Germany! You have Autobahn and Oktoberfest! Your beer is cheaper than water. Your cars are so fast! And it’s like a fridge outside. I love your country!“ Fühlt man sich da als Deutsche nicht komplett in seiner Kultur erfasst und verstanden?
Zugegeben, was mich interessiert, sind die Sportarten, die ich zu Hause nicht so tun kann: Segeln, Tauchen, Surfen, Bergsteigen und so weiter. Aber mich an meinem Maltisch austoben, auf meinem Klavier spielen und in meiner eigenen Küche kochen eben auch. Was mich auch reizt, sind andere Landschaften und Umgebungen. Meine Zeit in Südostasien hat mich jedoch gelehrt, dass ich dafür nicht weit fahren muss. Tropenstrände habe ich kennengelernt als pisswarmes Badewannenwasser mit einem tödlichen Laser als Sonne und mit konstantem Ärger mit respektlosen, hinterhältigen Affen. Dschungel sieht aus wie ein hübscher, alter, deutscher Wald, der irgendwie höher gewachsen ist und auf den dann ein riesiges Monster grünes Dickicht draufgekotzt hat. Und ja, ich konnte das auch wertschätzen und hatte da auch gute Zeiten, aber dafür steige ich nicht mehr in ein Flugzeug. Nordsee, Alpen und Vogelsberg for the win!
Also nein, ich will nicht reisen, nur um zu reisen. Meinen Bruder in Cambodia besuchen, das war cool. Mit meinem Mann einen Roadtrip an die Nordsee machen, immer wieder gerne. Mit Freunden in das Ferienhaus ihrer Familie an die felsige Küste Spaniens fahren und dort wandern gehen – hätte ich gemacht, wäre nicht so ein gewisse Krankheit dazwischen gekommen. Aber dazwischen bin ich leidenschaftlich und von ganzem Herzen gerne zu Hause, ohne, dass es mich irgendwo anders hinzieht. Für mich ist Reisen wie Chilli – ohne schmeckt das Essen gut, mit besser, und wenn es zu viel wird, ist das Essen ungenießbar. Und es ist schnell zu viel.
An alle, die das anders sehen: Was genau ist es am Reisen, das ihr so liebt? Was gibt euch das?
Einfach mal was anders sehen, erleben als Zuhause. Obwohl, selbst im eigenen Stadtviertel entdeckt man nach vielen Jahren oft was Neues. Perspektive wechseln und wahrnehmen.
Cool, danke für deine Gedanken :)