Nicht ganz so wie geplant

„Alles klar?“
Ich schüttel finster den Kopf. Mein Mathelehrer schaut auf meine Klausur, um zu sehen, was ich so fabriziere. Aber darum gehts gar nicht.
„Ich hab mega Regelschmerzen!“, flüster ich ihm erschöpft und frustriert zu. Nichts kriege ich mehr auf die Reihe. Das macht alles keinen Sinn, was ich auf meine Zettel geschrieben habe. Meine Gedanken sind zugedröhnt mit Schmerzen.
„Ja warum sagst du denn nichts? Brich doch ab!“
„Aber dann brauche ich Attest! Krieg ich ein Attest für Regelschmerzen?“

Er geht nach vorne zu dem Mathelehrer des anderen LKs, um abzusprechen, was sie mit dem aufgelösten Mädchen mit Regelschmerzen da machen sollen, dem gerade ungehindert die Tränen über die Wangen laufen. Der Junge im hellgrauen Pulli und mit der Brille, durch die er immer ein bisschen schief durchblinzelt, schenkt ihr eine Packung Taschentücher. Der Rest bemerkt nichts, viel zu vertieft sind alle in diese nicht gerade leicht zu bewältigende Mathe-Vorabi-Klausur.

Ich beruhige mich langsam wieder. Na toll, jetzt gehöre ich also zu denen, die in einer Klausur geheult haben. Nicht gerade mein Lieblings-Image, aber das ist mir gerade herzlich egal.

Mein Mathelehrer kommt zurück. Auch wenn er sonst leicht sadistisch veranlagt ist, ist er in solchen Situationen souverän und sogar fast fürsorglich. Deswegen mag ich ihn.

„So, du gibst jetzt erst mal ab. Du schreibst die Klausur nach. Das mit dem Attest kriegen wir auch hin.“ Ich nicke gehorsam und stehe auf. Jetzt starren mich doch schon einige ein bisschen komisch an. Bestimmt haben sie fragende Blicke und überlegen, was mit mir wohl los ist, dass ich jetzt schon zusammenpacke, aber ich schaue sie nicht direkt an. Hauptsache, ich halte meine Tränendrüsen unter Kontrolle und weine nicht wieder.

Im Oberstufenbüro übergibt er mich der Stufenleitung, die da sitzt und superwichtige Sachen am Computer macht. Die Sache mit dem Attest ist schnell abgesprochen, und mein Mathelehrer geht zurück in den Klausurraum, um seinen anderen Schäfchen zur Seite zu stehen. Oder ihnen genüsslich beim Leiden zuzusehen. Je nach dem.

Im Unterricht soll meine Stufenleiterin voll streng sein, aber da hab ich sie noch nie erlebt, und so finde ich sie voll lieb. Sie bietet mit Johannisbeerkuchen an, den sie für meine Sportlehrerin gebacken hat, die jetzt aber krank ist. Der ist so lecker. Unglaublich gut. Aus Johannisbeeren aus dem eigenen Garten, erzählt sie. Eingefroren, um das ganze Jahr was von ihnen zu haben. Ich fühle mich innerlich aufgelöst, kann mich aber langsam ein bisschen entspannen. Schnacke mit ihr eine Runde über Stress, Latinum und faule, aber schlaue Schüler, und über Studieren, dann fährt sie mich mit ihrem Auto zum Bus.

Regelschmerzen steigen im Auto und im Bus exponentiell an. Wusste nicht, dass da noch so viel Platz nach oben war. Sterbe ein bisschen stumm wimmernd vor mich hin. Momente, in denen man für Weiblichkeit einen hohen Preis zahlen muss.

Entwickle Galgenhumor. „Sina, wie war deine Klausur?“ – „Blutig, Mama, blutig.“
Grinse verzweifelt in mich hinein.

Das erste, was ich zu Hause mache, ist, meine Schmerztabletten zu suchen und sie mir mit ner halben Flasche Wasser in den Körper zu spülen, um dann noch unendliche 40 Minuten keine Wirkung zu spüren. Finde keine Ruhe. Versuche zu lesen. Versage. Tiegere in der Wohnung rum. Schaue drei Mal in den Kühlschrank. Gehe zwei Mal auf Toilette. Weine und schluchze immer mal wieder ein bisschen vor mich hin. Boah, sind Regelschmerzen ne abartige Angelegenheit.

Und dann – innerhalb von einer halben Minute, vielleicht nicht mal – ist das Medikament endlich da angekommen, wo es hinsoll. Ich spüre richtig, wie meine Schmerzen weggehen, als würde man einen Regler runterdrehen. Meine Stimmung schlägt komplett um. Ich bin zwar erschöpft und meine Augen sind angestrengt vom Weinen, aber sonst fühle ich mich wie ausgewechselt. Richtig gut gehts mir! Oh wie wunderbar wundervoll doch meine Welt ist! Wuhu! Ich hole die Ukulele raus und träller für ne Weile ein Lied nach dem anderen.

Da sind doch Drogen drin gewesen, denke ich, und lese die Packungsbeilage meines Schmerzmittels. Hm. Neben ungefähr tausend Horrorszenarien steht in einem Wort bei gelegentlichen psychiatrischen Nebenwirkungen „Erregung“. Trifft es das? Ist das die medizinische Tarnung für suspekte, fast manische Hochgefühle?

Egal. Ich finds geil. Mir gehts super.

Schreibe das Geschehnis in der Klausur später nem Kumpel. Seine Reaktion: Ein ironisch bemitleidendes „ohhh“. Blödmann. Jungs verstehen so etwas einfach nicht. Einem Mädchen muss man nicht erklären, warum es schon vorkommen kann, dass man in der Klausur wegen Regelschmerzen weint. Die weiß, was man da für Todesqualen erträgt. Jungs gucken da nur naiv-dümmlich-verständnislos und fragen, ob das wirklich so schlimm ist, und manche stempeln einen heimlich als Heulsuse ab.

Am nächsten Tag schaut mein Mathelehrer mich fragend an, als ich in den Kursraum komme. Meinen Rausch hab ich zwischendrin ausgeschlafen, Schmerzen ebenso weg, leichtes Erschöpfungstief, aber sonst hat sich mein Zustand normalisiert.

„Gehts dir wieder gut?“, fragt er, als ich ihm das Attest vorlege. Ich nicke. Während er den Zettel abzeichnet, kommentiert er: „Na das war ja was!“

Ja. Das war was.


4 Kommentare

  1. Das ist glaube ich das erste Mal, dass du ein sehr konkretes Erlebnis aus deinem „Alltag“ (solche Schmerzen sind hoffentlich doch nicht alltäglich) schilderst. Die schmerzende Gebärmutter stelle ich mir irgendwie wie ein Muskelkrampf vor.

    Viel Glück bei der Nachklausur, die hoffentlich nicht in 28 Tagen stattfindet!

  2. Muskelkrampf trifft es eigentlich gar nicht so schlecht. Dazu kommt allerdings noch so einiges mehr. Zum Beispiel konstante, eher leichte Schmerzen, die einem aber die Laune an allem verderben. Man beachte, dass da Hormone mit im Spiel sind. Alles, was man sonst Lebensgeister nennt, macht Urlaub.

    Danke! Nächste Woche, um genau zu sein. ;-) Was wäre denn am 18 März schlimm?

  3. Nicht so toll. Ich kenne nur heftige Kopfschmerzen, meist wegen Kaumuskelentzündung. Aus Verlegenheit mit dem Kiefergelenk zu knacksen tut gut und nach ein paar Stunden sehr weh… Ibu reinwerfen und wieder gut ist.

    Der 18. März? Der normale Zyklus hat doch 28 Tage Dauer. Keine Ahnung warum. Wahrscheinlich zu Ehren all der männlichen Astronauten, die auf dem Mond gelandet sind. Dieses Dings umkreist doch Mutter Erde alle 28 Tage einmal.


Was denkst du?

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s