Du weißt, wo ich bin.

Ein Text, der langsam gelesen am schönsten ist.

Offene Hände sind leere Hände.

Meine Hände sind leer.

So viel, was sie nicht mehr halten können. Was mir entglitten ist. Was ich loslassen musste.

Jetzt bin ich allein.

Jetzt, wo ich so richtig allein bin, spüre ich beides: Die Leere, die alles hinterlassen hat. Und, dass du, Gott, noch da bist.
Dir strecke ich meine Hände hin. Von dir habe ich es genommen. Zu dir gebe ich es wieder zurück. Auch meine Trauer, meinen Schmerz. Du bekommst auch die verbrannte Erde. Wer bin ich, zu beurteilen, was richtig und was falsch war? Ob diese Zeit gut war oder schlecht? Wie es jetzt am besten weiter geht?

Ich habe offene, leere, blutende Hände.

Alles empfange ich von dir. Wer ich bin. Meine Vergangenheit. Meine Zukunft. Alles gut und schlecht, fruchtbar und trocken, allein und gemeinsam empfange ich von dir. Ich bin nicht die, die sagt, wer ich bin. Ich finde mich nicht selbst. Ich finde dich.

Und du weißt schon, wo ich bin.

Schatten und Erinnerung

Texte nach einer Trennung 2/3 – Monate danach

Sein Schatten war stets bei mir. Schattenaugen, die ich auf mir spürte. Schattenstimme, die ich hörte, immer noch. Schattenberührungen, und doch nur endlos leere Abdrücke seiner Hände, seiner Lippen, weil er ja eigentlich gar nicht mehr da war. Verlassen werden ist einfach scheiße.

Mein Gehirn wie ein Labyrinth und hinter jeder Ecke ein Schatten von ihm. Sein Schatten klebte an allem und vor allem an mir und flößte mir immer wieder dieselben Gedanken ein, immer wieder die selben Bilder, Worte, Momente. „Komm, spiel mit mir“, raunte er in mein Ohr. „Dasselbe Gedankenspiel von gestern und vorgestern nochmal, wie wärs?“

Ich hatte etwas gefunden, das außergewöhnlich war, und deswegen habe ich außergewöhnlich geliebt und außergewöhnlich geschenkt. Doch der Schatz war wie eines von diesen Kippbildern, und er hat etwas ganz anderes gesehen als ich. Es fühlte sich alles wie Lüge an. Belogen, und ich alleine mit seinem Schatten, den ich doch gar nie eingeladen hatte.

Schattentage und Schattenmonate und beinahe war es schon normal. ‚Ist das noch normal, wie lange ich brauche, um keine Schatten mehr zu sehen?‘, dachte ich und dachte an ihn. Blickte in seine Schattenaugen, wie zärtlich sie mich früher angesehen hatten und wie befremdet dann später, blickte ihn an und er war gar nicht da, dachte gar nicht mehr an mich.

Plötzlich – beinahe hätte ich es selbst verpasst – verblasste sein Schatten und verschwand. Es blieben Erinnerungen. Manche tun weh. Andere nicht. Es gibt welche, die lassen mich lächeln. Das fühlt sich dann nicht mehr bitter an. Wenn ich die Erinnerungen wegschicke, gehen sie weg. Keine Augen mehr, die auf mir ruhen. Keine Schattenstimme in meinen Ohren und keine Abdrücke auf meiner Haut. Keine Schattenschreckgespenster mehr.

Ja, ich wurde verlassen, aber ich bin alles andere als eine Verlassene. Mein Gedankenlabyrinth ist wieder ein Ort der großen Entdeckungen und der unendlichen Möglichkeiten. Vielleicht war ich selbst auch nur noch ein Schatten. Und irgendjemand, vielleicht Gott, malt mich gerade mit neuen Farben wieder bunt, wieder zu mir selbst.

Die Erinnerungen an den Himmel

Texte aus einer schweren Zeit 4/4

Weg von den schwer wiegenden Wochen vor mir und weg von all den Schranken und Zäunen und Mauern um mich herum schaue ich jetzt hin zu etwas anderem. Denn vielleicht ist dies gar nicht die Zeit für Sorge und Schwere und Pläne und Angst. Vielleicht ist jetzt genau die richtige Zeit zum Feiern.

Komm, wir feiern die kleinen Schritte und alles, was noch geht, was wieder geht, was weiter geht.

Ich will jeden Abend feiern, an dem meine Gesundheit zulässt, dass ich mein Fahrrad nach Hause fahre anstatt es zu schieben. Jeden Morgen, an dem mich nicht trübe Gedanken wecken, sondern Hoffnung da ist. Jeden Uni-Tag, an dem ich Freude am Lernen finden kann statt von meinen Grenzen enttäuscht zu sein. Jedes Mal, wenn ich es schaffe, liebevoll mit mir selbst zu sein, wenn ich etwas nicht kann. Jedes Mal, wenn ein Nein meinen Mund verlässt, wenn ich merke, etwas wäre mir zu viel. Jedes Mal, wenn ich wieder von etwas träume. Jedes Mal, wenn meine Seele die Stille wieder genießen kann und nicht vor ihr davon laufen muss. Jeden Text, in dem Licht zu finden ist. Jedes Gespräch, in dem ich weg von meiner eigenen Not hin zu jemand anderem schauen kann. Jedes Lachen, das den Weg in mein Herz findet. Jede Träne, die zugelassen und geweint wurde.

Einen Monat ist es her, da habe ich in mein Notizbuch einen kurzen Gedanken gekritzelt:

Der Vogel mit den zerbrochenen Flügeln,
er läuft, er flattert,
er sucht seine Erinnerungen an den Himmel.

Komm, wir feiern die lebendigen Erinnerungen an den Himmel. Ich versuche aus einer stockfinsteren Zeit den Weg ins Licht zu finden und heute will ich die kleinen Schritte feiern – klein, aber doch große Kämpfe. Unscheinbar, aber doch bedeutend. Ungesehen, doch sie machen den ganzen Unterschied.

Und deine Schritte, deine kleinen großen Schritte, die feiern wir gleich mit.

Erzähl doch mal von deinen Schritten in den Kommentaren, wenn du magst :-)

Hallo Spiegelfrau

Texte aus einer schweren Zeit 3/4

„Mama. Guck mal. Ich seh so anders aus. Ich sehe so traurig aus. So traurig habe ich noch nie ausgesehen.“

Ich stand vor dem Badezimmerspiegel. Ein paar Stunden zuvor war ich ohne Vorwarnung von der glücklichen Freundin zur abgelehnten und fortgeschickten Ex-Freundin geworden. Seitdem zerbrach ich langsam.

Mama schaute mit mir zusammen mein Spiegelbild an und sagte: „Ja, jeder Schmerz hat sein eigenes Gesicht.“

„Trauer. Es ist reine, destillierte Trauer. Da ist nichts anderes mehr.“

Ich weinte.

Die Tage und die Wochen vergingen, jetzt sind es Monate, und der Tod und die Krankheit gesellten sich dazu in mein zerschlagenes Herz. Die Blicke in den Spiegel – auf der Suche nach mir. Nicht danach, ob ich okay aussehe, ob die Haare sitzen und ich so rausgehen kann. Die Suche nach dem, wie es dieser Frau im Spiegel geht, was sie ausstrahlt, was ihr Gesicht zeichnet. Blicke in die Nacht.

Heute schaue ich wieder in den Spiegel, schaue auf meine Tränen. Der Schmerz dieser ganzen letzten Zeit hat tiefe Furchen eingegraben und harte Kanten gezeichnet. Die Augen trüb, doch die Tränen machen sie wieder klar, und ich denke:

Hallo Spiegelfrau. Hallo.

Da bist du ja. Und da ist ja auch das alles – die Trauer, die Verzweiflung, die Überforderung, die Wut, die Anstrengung, die Mutlosigkeit, der Frust. Und die Entschlossenheit ist auch da und das kleine bisschen Hoffnung. Spiegelfrau, du hast ein Gesicht aus Scherben. Du bist erschöpft und morgen wirst du wieder aufstehen, auch wenn du dir das jetzt noch nicht vorstellen kannst. Heute gab es einen Weg für dich. Morgen wird es wieder einen geben. Wenn du das heute noch nicht glauben kannst, dann ist das okay. Es ist okay.

Verschüchterte Augen blicken zurück. Augen, die wissen: Auch wenn ich fliehen will, werde ich bleiben. Auch wenn es hart ist, werde ich weitergehen. Auch wenn es weh tut – weil das Leben eine Einbahnstraße ist und es nur vorwärts geht. Weil ich nicht aufgebe.

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Mutig und stark?

Texte aus einer schweren Zeit 1/4

Ich wäre so gern mutig und stark.

Schwach sein, das hat seinen Reiz, wenn eine starke Schulter in der Nähe ist. Aber wenn man merkt, dass da niemand ist, und dass ich jetzt gerade vielleicht nicht ganz alleine, aber doch für mich selbst hier stehe und für mich selbst kämpfen muss, dann mag ich überhaupt gar nicht mehr schwach sein.

Mutig sein, das war leicht, als ich das Ziel gesehen habe. Als ich wusste, wofür, und wohin ich will. Wenn da aber Nebel ist und man gar nicht mehr das Gefühl hat, dass es den Aufwand, den Mut, den Einsatz wert ist – Ich bin nur noch mutig, weil ich keine Wahl habe. Ich gehe nur noch voran, weil das Leben eine Einbahnstraße ist. Ich gehe, weil ich mich weigere, stehenzubleiben.

Ich wäre so gern mutig und stark.

Stattdessen drehe ich mich im Kreis, immer im Kreis: Die Erinnerungen. Wie schwer es mir fällt, dass alles jetzt doch so anders ist. Wie ungerecht das ist. Wieso den Menschen, die mir so weh tun, scheinbar alles gelingt. Wie es gewesen wäre, wenn ich mich in dieser oder jener Situation anders verhalten hätte. Was ich machen würde, wenn ich diesen oder jenen Menschen aus der Vergangenheit nochmal träfe. Was ich ihnen heimzahlen will. Wie ich ihnen demonstrieren kann, was sie mir angetan haben. Falls sie das überhaupt interessiert.

Ich weiß, ich sehe, ich fühle, wie mich das kaputt macht. Und trotzdem höre ich nicht damit auf. Ich weiß nicht wie. Kontrolle über meine Gedanken zu übernehmen ist so schwer.

Ich will akzeptieren, dass es ist, wie es ist. Ich will nicht mehr immer zurückdenken, voller Trotz, Reue, Wut, Ärger, Fassungslosigkeit, Trauer. Ich will im Jetzt ankommen und die ganzen alten Vorstellungen der Zukunft, Wünsche, Träume und Hoffnungen begraben. Ich will vergeben. Ich will vergessen, heil sein, es ungeschehen haben, mich fühlen, als sei das alles nicht passiert – oder als sei der Schmerz nicht passiert.

Ich habe aufgehört, zu träumen. Zu hoffen. Was vorher Licht war, auf das ich zugesteuert habe, sind jetzt Schreckensgeister oder fade Eintönigkeiten, zu den ich eigentlich gar nicht hinwill – gefangen im Festhalten an Zielen, die jetzt unmöglich geworden sind. Wie ich nicht aufhöre, mich zu wehren gegen die Realität und den Zerbruch… als könnte ich etwas ändern. Als könnte ich etwas zurück bekommen.

„Ich kann nicht mehr“ und „Ich will nicht mehr“ – erst vor zwei, drei Wochen habe ich einem Mädchen beigebracht, dass sie diese Denkweisen nicht weiterbringen werden. Und jetzt weiß ich selbst nicht, wie ich weiterkommen soll. Ich sehe nicht, wohin. Wozu überhaupt. Ich fühle mich kraftlos und schwach. Perspektivlos. Mutlos.

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