Die Königin der Tanzfläche

In all dem pulsierenden Geschehen der Tanzfläche, dem Flirten und dem Rausch, dem Spaß und der Leichtigkeit, der Unsicherheit und dem Scham, den tanzenden Lichtern und vibrierenden Bass, zwischen all den vielen tanzenden Menschen ist die Königin.

Sie bewegt sich zur Musik, als wäre diese ein Teil von ihr. Etwas in ihr ahnt, was der DJ vorhat, wie Lieder verlaufen. Sie lebt es aus. Am Rande der Tanzfläche hat sie den Platz für sich eingenommen, den sie braucht, denn sie bewegt sich gerne, nutzt gerne ihren ganzen Körper und den ganzen Platz. Trotzdem wirkt etwas an ihr ganz ruhig. Sie ruht in sich selbst. Sie ist nicht ausgerichtet auf Menschen um sich herum – tanzt nicht um ihre Anerkennung, ihre Attraktivität, die Blicke – sondern ist ganz in der Musik, in sich, und es fühlt sich an, als wäre beides das selbe. Sie nimmt andere wahr, lächelt sie an, geht ab und zu auf Bewegungen ein, und doch wirkt etwas an ihr erhaben, erhaben über diesen Moment. Ein Moment, der ihr gehört.

Sie ist eine Königin, die Königin der Tanzfläche.

tanzen.

Als wir im Schulsport Standarttanz hatten, war ich sehr, sehr froh, dass wir mehr Mädchen sind als Jungs und ich so meistens mit einer Freundin tanzen konnte. Ich habe da eine recht große private Zone, in die keiner so leicht rein darf. Ich gehöre nicht zu diesen Kuschelmäuschen, die sich ständig in die Arme nehmen. Klar, ab und zu mach ich das auch gerne, aber so ganz allgemein eher weniger. Mit jemandem zusammen tanzen, den ich nicht besonders mag, ist da irgendwie zu viel.

Zumba war auch nicht so meins. Zwei Doppelstunden lang haben wir das mit unserem Mädchen-Ballsport-Kurs gemacht, und es war eine Qual. Zumba finde ich nicht mal besonders schön, wenn das Leute machen, die das echt können. Es ist so eine Mischung aus der Plumpheit eines fitnesstreibenden Hängebauchschweines und dem Versuch, durch das schnelle Bewegen gewisser Körperteile sexy auszusehen, und das Ganze noch unterlegt mit mittelschlechter, rhythmischer Popmusik. Gut, zugegeben, es kann auch ganz ansehnlich sein. Abgewinnen kann ich Zumba trotzdem nichts.

Ich habe mal in der Grundschule für ein halbes Jahr getanzt. Ich mochte das Bewegen zur Musik, aber die Gruppe war sehr zickig und die beiden Mädels, die das geleitet haben, haben regelmäßig über Jungs und Sex geredet und sich zum Abschied geküsst. Einmal hat mich eine der beiden ziemlich angefahren und ausgelacht, als ich beim Tanzen die Augen zugemacht habe, um mich besser konzentrieren zu können.

Tanzen war also doof, ganz klar. Meine Hemmschwelle war so hoch wie der Himalaya, quasi unüberwindbar. Ich wollte sie auch gar nicht überwinden. Dahinter erhoffte ich mir kein gelobtes Land, sondern nur eine Wüste voller Scham und Pein. Die Ansicht einiger meiner Freunde, dass ich tollpatschig und linkisch sei und mich zittrig und eckig bewegte, bestätigte mich nur darin. Und so verblieb ich, sicher eingesperrt hinter meinen inneren Mauern.

Doch der Plan für mich sah anders aus. Gaaanz, ganz langsam, durch wenige, bedacht platzierte Situationen, die von Ausgelassenheit, Freude und dem Gefühl des Nicht-bewertet-Werdens geprägt waren, wurde ich dem Bewegen meines Körpers zu Musik wieder näher gebracht. Die Mauer bröckelten, und der Himalaya wurden langsam angegangen. Die Anonymität einer großen, dunklen Halle, in der der Fokus nicht mehr auf den anderen Menschen, sondern im Himmel lag. Die jugendliche Albernheit auf einer Hochzeit mit eher mittelmäßiger Musik. Kleine Momente nur für mich, mit meiner Musikanlage in meinem Zimmer. Stolz auf die kleinen Etappensiege. Und gleichzeitig immer wieder Skepsis. Nicht nur bei mir. „Sina, du hast getanzt?! Wohl eher gehüpft oder so.“ Als dürfte ich das nicht. Als wäre ich da nicht gut genug für.

Und heute? Eine Entscheidung, die kurz vor Beginn am liebsten rückgängig gemacht hätte. Nach einigem Liebäugeln plus der Überredungskunst toller Freunde habe ich mich bei einem Tanzworkshop angemeldet. Bei einem, bei dem es nicht um richtig oder falsch geht. Bei dem keiner meine persönliche Nur-für-mich-Zone angreift. Bei dem es nicht vorrangig um besonders grazil ausgeführte Tanzschritte geht. Sondern um Tanzen zu Worship. Nur für Frauen.

Ja, ich war ein bisschen nervös. Für mich war das ein bisschen eine Höhle des Löwen. Dieser Löwe, der da lauerte, würde mir zuflüstern, dass ich plump und eckig und hässlich aussehe bei meinen Bewegungen, dass ich das alles falsch mache, dass das komisch und peinlich ist und dass ich aufhören soll. Und ja, ich bin trotzdem hingegangen. Und mit Hilfe zweier wundervoller Frauen habe ich den Löwen aus seiner Höhle verbannt und diese Höhle zu einem Tanzstudio umgebaut. Bäms. Nimm das.

Ich weiß. Das war erst der erste Löwe, und bei der Überwindung des Himalayas fehlen noch ein paar Achttausender, aber ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen wird, lässt mich weitergehen. Es ist frei, schön und … ach, weiß nicht. Das mag heute von außen vielleicht klein ausgesehen haben, aber mein tief verwurzeltes, feines Gespür sagt mir, dass das irgendwie entscheidend war. Für mich. Jetzt.

Eins ist jedenfalls klar: Jetzt hat keiner mehr das Recht, mir zu sagen, dass ich nicht tanzen soll.

10 Fakten über mich – Episode 4

1) Ich mag nicht früh ins Bett gehen und ich mag auch nicht allzu spät aufstehen. Ja, das ist ganz schön blöd gelaufen.

2) Schlimmer als Spinnen, Zecken und Linsensuppe zusammen: Nacktschnecken. Uäh, Nacktschnecken. Die schlimmsten Tiere der Welt, wirklich.

3) Es gibt so circa drei Menschen über 12 Jahren, die meinen Humor teilen. Ich finde das traurig.

4) Ich tanze echt super gern, aber nur, ich sag mal: Freestyle. Paartanz und andere Choreographien liegen mir irgendwie nicht. Und selbst beim einfach-so-tanzen habe ich eine irre hohe Hemmschwelle. Ich denke immer, dass ich dabei so unglaublich bescheuert aussehe.

5) Schwarze Fenster machen mich verrückt. Ich kann den Gedanken nicht leiden, dass jemand von außen rein, aber ich nicht von innen raus gucken kann.

6) Manchmal bin ich stundenlang einfach so auf den Feldern. Das ist eine Zeit, in der ich eigentlich nichts mache, aber sie tut gut.

7) Ich bin seit ein paar Jahren laktoseintolerant.

8) Winterkind aus vollem Herzen!

9) Ich habe meine Ohrlöcher erst mit zwölf oder dreizehn Jahren bekommen. Und irgendwie finde ich das auch gut so. So war es wenigstens meine Entscheidung.

10) Ich kann mir das nicht erklären, aber ich kann kein Kaugummi kauen. Das löst sich bei mir immer im Mund auf und irgendwann ist es weg. Wirklich! Hat das noch irgendjemand oder bin ich damit wirklich so alleine, wie es mir immer vorkommt?

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tanzen im Sturm

(Ein Text vom 22. März 2011)

Es ist Sturm angesagt. Überall. Alles passiert gleichzeitig, keine Ruhe, keine Verschnaufpause. Das Angenehme verwirbelt sich mit dem Schrecklichen, das Geplante mit dem Ungeplanten, die Pflicht mit dem Freiwilligen. Und zurück bleibt ein Sturm und alles fliegt mir um die Ohren, Pläne, Baumstämme, Wünsche, Autos, Sicherheiten, Dachziegeln, Vertrauen, Mülltonnen, Gelassenheit, Fahrräder, Ruhe.

Aber ich will mich nicht zurückziehen, das Gewitter vorüber ziehen lassen und danach wieder hervor kommen. Ich könnte es. Aber ich will es nicht.

Ich trete hinaus, in einen der turbulentesten Teile, strecke meine Arme in die Luft und genieße die Energie, handle und tu was. Ich benutze meine Hände, meine Füße, alles arbeitet. Und ich genieße die Luftströme, alles, was um mich herum fliegt, tanze und lache. Mit unerschöpfbaren Energiequellen werde ich weitermachen, bis ich fertig bin und es wird gut sein.

Und ich werde den Sturm gemeistert haben, den Sturm, der auch voll schrecklicher Sachen ist, denn ich kann trotzdem lachen und ich kann trotzdem leben und ich kann trotzdem tanzen.