Liebes Kind,

hier sind wir also. Neurologin sagt, joa, schon auffällig, aber nicht übermäßig besorgniserregend, „ich bin da optimistisch“. Physiotherapeutin sagt „da springt aber jemand gut auf die Übungen an“. Kinderarzt sagt „da wollen wir doch mal sehen, wie du dich unter Therapie so entwickelst“. Es bleibt bei dem „a little special“ – so ein bisschen neben der Spur, aber nicht völlig ab vom Weg.

Du und ich.

Die meiste Zeit sind es wir beide; oft noch Papa, wenn er nicht arbeitet. Die meiste Zeit machen wir es unter uns aus, was das alles heißt. Wer du bist. Wie wir dich sehen. Wie wir in dieser Wirklichkeit leben. Die meiste Zeit leben wir in unserem eigenen Normal.

Wer du bist, Kind, und was mit dir ist, das ist meine eine Frage. Meine andere Frage ist, wer ich bin in dem allem. Wer ich bin als Mutter, als deine Mutter, und als Mutter zwischen Kinderarzt, Neurologin und Physiotherapeutin, als Mutter meines special-Kindes zwischen anderen Müttern von Kindern, die auch, anders oder nicht so special sind. Wer ich bin als Mutter zu Hause, wenn wir zu zweit sind, und sonst keiner da ist. Wer ich bin als Mutter, wenn du anders bist, als ich dachte.

Mein liebes Kind, ich will dir einige Dinge versprechen. Nicht versprechen in dem Sinne, dass ich garantieren kann, dass ich meinem Versprechen immer zu 100% gerecht werde. Ich verspreche sie in dem Sinne, als dass ich sie als Maßstab für mich selbst setzte. Sie sollen meine Messlatte sein.

Ich will dich betrachten als die Person, die du bist, und nicht als die, die du nach diesem oder jenem Maßstab sein solltest. Genau so, wie du bist, will ich dich annehmen und dich spüren und dir begegnen. Für mich brauchst du nicht mehr oder anders sein. Im Fokus sollst immer du selbst stehen und nicht deine Andersartigkeit. Bei mir sollst du dich so herrlich normal und gleichzeitig ganz besonders fühlen dürfen.

Ich will immer offen dafür bleiben, dass du mich überraschst. Du veränderst dich stetig, und ich gebe mein Bestes, mitzukommen. Veraltete Annahmen über dich will ich großzügig aussortieren und für Neues immer bereit sein. Du bist eine leise Seele, vielleicht schnell übersehen, und forderst die Anpassung an deine Entwicklung kaum ein. Ich will die Augen offen halten, hinschauen, mitgehen, mich mitentwickeln. Niemals will ich dich festlegen und sagen „genau so bist und bleibst du“ oder „so etwas kannst du eben nicht“. Stattdessen will ich sagen „jetzt gerade scheint es so zu sein“ und „wer weiß, was werden kann“.

Und ja, natürlich will ich auch die Bärenmama für dich sein. Dafür sorgen, dass du die notwendige Förderung bekommst, dass genau hingeschaut wird, dass du mit deinen Symptomen ernst genommen wirst und all solche Dinge. Dass wir deine Übungen zu Hause machen und auch Papa weiß, wie er es machen soll. Aber das ist nicht das Schwierige. Das geht automatisch, so anstrengend es auch sein mag. Was ich dir versprechen, mir vornehmen möchte, ist: Dass Ruhe einkehren darf. Nicht immer nur Kampf. Quatsch machen zusammen, den Moment genießen. Wegkommen von all den Sorgen und Ansprüchen und Förderungen. Einfach Familie sein.

„Das Wichtigste für ein Kind ist eine glückliche Mama“, predigt meine eigene Mutter mir, seit ich ihr von dem positiven Schwangerschaftstest, deinem ersten Existenznachweis, erzählt habe. Es ist etwas sehr Wahres, Elementares dran an diesem Satz. Mit niemandem hast du so viel zu tun wie mit mir. Die Neurologin erklärte mir, dass dir bis jetzt noch nicht einmal bewusst ist, dass du und ich nicht dieselbe Person sind. Ich präge deinen gesamten Alltag und einen Großteil deiner Interaktionen. All das ist in vielerlei Hinsicht abhängig davon, wie es mir geht. Nein, ich werde mich nicht unter Druck setzen, immer gut drauf und perfekt sein zu wollen. Aber ich werde mein Wohlergehen priorisieren. Was ich will und brauche, das ist in dieser Familie wichtig. Das hat einen Platz. Immer wieder will ich fragen, wie ich alles für mich ein wenig besser gestalten kann. Wie ich für mich sorgen kann. Das mache ich für mich und das mache ich für dich, denn wenn es mir gut geht, bin ich die beste Mutter, die ich für dich sein kann.

Irgendwie stehen wir ganz am Anfang unseres Weges, obwohl wir gleichzeitig auch schon eine ganze Wegstrecke gegangen sind. Du magst erst zwei Händevoll Monate alt sein, aber diese Monate waren zum Bersten gefüllt mit Erfahrungen. Ich bin stolz auf uns zwei. Auf dich, wie du dir deinen eigenen Weg auf deine stoische, unbeirrbare Weise erarbeitest. Und auf mich, die ich schon so viel gelernt habe in deiner kurzen Lebenszeit, über Gelassenheit und Fokus und Akzeptanz.

Mein kleiner Tropf, ich hab dich so lieb, ich platze fast.

In großer Mamaliebe, mit Zuversicht und aus der neu gefundenen Ruhe heraus,

Ich – Mama


2 Kommentare

  1. Ihr macht das super!! Ihr seid genau die richtigen Eltern für Euren Sohn und es ist immer besser sich auf die Stärken zu konzentrieren, dass die Schwachstellen zu „markieren“. Liebe Grüsse


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