Anstelle großer Gefühle

Texte nach einer Trennung 3/3 – Über ein Jahr danach

Alles, was in mir in den letzten Jahren dir gegenüber war, war groß. Erst habe ich dich groß geliebt und dann war ich groß verletzt. Große Trauer, große Wut. Große Gedanken und Gefühle dir gegenüber zu allen Zeiten. Ich habe alle Arten von Texten über dich geschrieben. Ich habe alles gefühlt.

Irgendwann wurde das weniger. Andere Dinge wurden größer als du. Die Gedanken und Gefühle, die am Anfang immer um mich waren, tauchten immer seltener auf. Immer länger dauerte es, bis wieder so viel aufgestaut war, dass ich doch mal wieder darüber reden, schreiben, weinen musste.

Gestern haben wir geredet. Es war so gut, weil ich genau das loswerden konnte, was noch übrig geblieben ist von all den großen Gefühlen. Ein paar Sätze, destilliert nach all der Zeit: Wo ich dich inzwischen verstehe. Was ich mir noch gedacht habe. Dass es jetzt anders ist.

Du hast mir auch ein bisschen was gesagt, hast so glorreich herumgestottert und bist nicht zum Punkt gekommen, wie nur du das kannst. Ich habe dich damit aufgezogen und wir haben beide gelacht. Verstanden habe ich dich trotzdem. Wir sind beide anders geworden. Das tut gut. Gern hab ich dich immer noch. Am Ende haben wir uns umarmt.

Eine Sache ist übrig geblieben. Da, wo so lang so große Gefühle waren, ist jetzt etwas Kleines, aber Unnachgiebiges, etwas Tiefes und Klares, das keinen Raum mehr lässt für Verwirrung und Groll. Etwas Friedliches und Neues. Etwas, das fest bleiben wird, selbst wenn der Schmerz doch mal zurück kehren sollte.

Etwas, das sagt:

Du bist Teil meiner Geschichte und es ist schön, dass es dich gibt.

Schatten und Erinnerung

Texte nach einer Trennung 2/3 – Monate danach

Sein Schatten war stets bei mir. Schattenaugen, die ich auf mir spürte. Schattenstimme, die ich hörte, immer noch. Schattenberührungen, und doch nur endlos leere Abdrücke seiner Hände, seiner Lippen, weil er ja eigentlich gar nicht mehr da war. Verlassen werden ist einfach scheiße.

Mein Gehirn wie ein Labyrinth und hinter jeder Ecke ein Schatten von ihm. Sein Schatten klebte an allem und vor allem an mir und flößte mir immer wieder dieselben Gedanken ein, immer wieder die selben Bilder, Worte, Momente. „Komm, spiel mit mir“, raunte er in mein Ohr. „Dasselbe Gedankenspiel von gestern und vorgestern nochmal, wie wärs?“

Ich hatte etwas gefunden, das außergewöhnlich war, und deswegen habe ich außergewöhnlich geliebt und außergewöhnlich geschenkt. Doch der Schatz war wie eines von diesen Kippbildern, und er hat etwas ganz anderes gesehen als ich. Es fühlte sich alles wie Lüge an. Belogen, und ich alleine mit seinem Schatten, den ich doch gar nie eingeladen hatte.

Schattentage und Schattenmonate und beinahe war es schon normal. ‚Ist das noch normal, wie lange ich brauche, um keine Schatten mehr zu sehen?‘, dachte ich und dachte an ihn. Blickte in seine Schattenaugen, wie zärtlich sie mich früher angesehen hatten und wie befremdet dann später, blickte ihn an und er war gar nicht da, dachte gar nicht mehr an mich.

Plötzlich – beinahe hätte ich es selbst verpasst – verblasste sein Schatten und verschwand. Es blieben Erinnerungen. Manche tun weh. Andere nicht. Es gibt welche, die lassen mich lächeln. Das fühlt sich dann nicht mehr bitter an. Wenn ich die Erinnerungen wegschicke, gehen sie weg. Keine Augen mehr, die auf mir ruhen. Keine Schattenstimme in meinen Ohren und keine Abdrücke auf meiner Haut. Keine Schattenschreckgespenster mehr.

Ja, ich wurde verlassen, aber ich bin alles andere als eine Verlassene. Mein Gedankenlabyrinth ist wieder ein Ort der großen Entdeckungen und der unendlichen Möglichkeiten. Vielleicht war ich selbst auch nur noch ein Schatten. Und irgendjemand, vielleicht Gott, malt mich gerade mit neuen Farben wieder bunt, wieder zu mir selbst.

Ampeln sind immer rot

Regen fällt auf meine Haut und läuft langsam meinen Arm hinunter. Die Ampel ist rot. Natürlich ist die Ampel rot. Immer sind Ampeln rot, außer sind sind es gerade nicht, aber dann denkt man ja auch nicht über sie nach, also sind sie praktisch immer rot, bis sie eben grün werden, aber das dauert irgendwie generell zu lange. Rote Ampeln guckt man viel länger an als grüne. In meinem Kopf sind Ampeln immer rot.

Ich stehe also an einer roten Ampel und es regnet. Das Wasser rinnt die Straße entlang. Ich habe meine Kapuze nicht aufgesetzt. Ich setze schon lange keine Kapuzen mehr wegen Regen auf. Nur noch wegen Wind. Ich mag es, wenn meine Haare vom Regen nass werden. Falls sie nass werden. Total oft werden sie einfach nur ein bisschen klamm und meine Kopfhaut bleibt trocken. So ist das mit dichten Haaren.

Wie früher als Kind strecke ich meine Hand aus und versuche, Regentropfen in meiner Hand zu sammeln. Und wie früher als Kind fallen überall viel mehr Regentropfen als da, wo meine Hand ist. Das ist wie mit der Ampel. Ampeln sind immer rot und Regen fällt nie genau in meine Hand. Bescheuert, das.

Wo Regentropfen übrigens immer hinfallen, das sind Brillen. Ich nehme meine ab und stecke sie in die Tasche. So dringend brauche ich sie dann auch wieder nicht.

Die Ampel wird grün. Ampeln sind immer rot, und jetzt wird sie grün. Aber ich gehe nicht rüber. Ich habe mich entschieden, dass ich doch gar nicht über die Straße will. Eigentlich will ich nirgendwo hin. Eine Frau mit Hund schaut mich merkwürdig an, als ich nach meiner Wartezeit an der Ampel statt über die Straße einfach wieder zurück gehe.

Ich will wieder nach Hause. Es gibt keine Zukunft. Nie gab es Zukunft. Zukunft war immer nur Schule, und daran denkt man nicht. Ein kleines bisschen Zukunft waren auch die kleinen Inseln namens Ferien. Die waren immer ewig weit weg, selbst wenn sie nah waren. Wenn sie kamen, war es immer toll, aber irgendwie fühlten sie sich immer auch ein bisschen an wie Seifenblasen. Ganz schnell waren sie so weg, als hätte es sie nie gegeben. Es bleiben nur Erinnerungen – Zukunft gab es nie. Nur Schule. Und jetzt erzählt mir irgendjemand, Schule wäre jetzt fertig. Das macht irgendwie Sinn, denn ich war zwölf Jahre da und seit ein paar Wochen nicht mehr, also muss sie wohl fertig sein. Aber dass jetzt etwas anderes kommen soll, das verstehe ich nicht. Wie kann es denn noch mehr Welt geben? Ampeln sind immer rot, Regentropfen fallen immer auf meine Brille und nie auf meine Hand, und es gibt immer nur Schule.

Ich will wieder nach Hause. Ich will nicht zur Schule, nicht weiter, ich will einfach nur zu Hause sein. Ich will gar nicht woanders hin. Im Sommer bleibt die Zeit eh stehen. Das ist so, weil sie ohne Schule ja schlecht weiterlaufen kann, oder? Eigentlich schwänze ich doch die ganze Zeit, oder?

Ich habe Schule immer gehasst. Man sagt, wenn man erst einmal aus der Schule raus ist, vermisst man sie. Bei mir ist das nicht so. Es gibt wenig auf der Welt, das mich dazu bringen könnte, zurück in die Schule zu gehen, selbst wenn es ginge. Nur irgendwie – irgendwie kenne ich nichts anderes. Ich kenne nur Schule. Zwölf Jahre lang jeden Tag dort gewesen, ein vertrautes Leid, ein bekanntes Ertragen, immer dasselbe, immer der Blick auf das dann, dann wird es besser. Eine Wüste, die mein zu Hause geworden ist. Wüste kenne ich. Mit Wüste kann ich umgehen. Wüste war doch immer schon. Wüste ist mein Leben. In der Wüste hat man Durst, man hat jeden Moment ein bisschen das Gefühl von Sterben, das ist so. Es geht nie weg, aber irgendwann ist es vertraut. Wüste.

Und jetzt stehe ich hier. Die Ampel ist grün. Das „dann“ von früher ist gekommen. Es gibt eine Zukunft.
Aber ich verstehe nicht. Es macht keinen Sinn. Ich weiß nicht, wie man das denkt, was nicht Wüste ist. Ich weiß nicht, wie man das lebt. Ich will nach Hause.
Wo ist zu Hause?

Ich atme, atme, und bin.

Einatmen.

Ausatmen.

Einatmen.

Kühle Luft in meiner Lunge, kühlt das Herz, die Gedanken. Einatmen – Fokus. Was ist wichtig? Atmosphäre, sein. Einfach sein. Ich bin, hier, bis in die Fingerspitzen, bis in meinen großen Zeh. Ich bin, und ich spüre mich.

Ausatmen.

Den Staub, der sich auf meinem Herz gesammelt hat, als ich mir keine Zeit für es genommen habe. Die Angst, die ich so lange zudecken wollte. Die Unsicherheit. Erhöhter Stickstoffgehalt in der Atemluft, die ich in die Nacht fließen lasse, das lernt man in der Schule. Irgendwas zittert – bin ich das?

Einatmen.

Die Ruhe und die Stärke. Wieder mal Identität, natürlich, das kommt immer wieder. Die Stimmen einatmen, die Menschen, wie sie mir Wert zusprechen. Wahrheit? Ich frage danach.

Ausatmen.

Die Spannungen, die ganzen Konflikte, die Kriege in mir, die ich zu selten gewinne. Unzufriedenheit, Enttäuschung von mir. Lügen, immer wieder Lügen: Ich kanns halt nicht. Mein Anspruch an mich, viel zu hoch – ist das Stolz?

Einatmen.

Macht und Frieden. Der Duft von Regen, und ein paar Moleküle mehr Gewissheit über mich und das Leben. Alles anders, dasselbe, nur anders. Mein Spiegelbild sieht anders aus als vor einem Jahr, einer Woche, einem Tag. Ich bin wertvoll.

Ich atme, atme. Ich bin frei, ich bin wild, und ich bin. Ich atme Dinge ein und atme Dinge aus, nehme auf und gebe ab, ergreife und lasse los. Da ist Luft um mich und in meiner Lunge, und Leben, und Veränderung, und alles, und es ist schnell, so intensiv, und ich atme, ich bin, bin. Einatmen und Ausatmen. Luft und alles, alles. Alles.

Und mit jeden Atemzug werde ich mehr ein neuer Mensch.

Was willst du?

Was willst du, Sina?, fragst du mich. Was willst du machen?

Ich will Menschen helfen, zu wachsen. Ich will etwas in Menschen bewegen. Ich will Fortschritte, Veränderungen sehen. Ich will Menschen herausfordern. Ich will sie konfrontieren mit sich selbst und mit der Wahrheit. Mein Wunsch ist es, dass Menschen wachsen und weiterkommen, nicht stehenbleiben, Dinge entdecken und verstehen, dass ihr Denken weiter wird, ihre Herzen liebender, ihre Seelen freier und klarer.

Ich will Freiheit bringen. Ich will Menschen Freiheit bringen, die getrieben sind von ihrer Sehnsucht nach Annahme und Sinn, die gefangen sind in ihrer Vergangenheit, in den Erwartungen anderer oder in ihren Fehlern. Ich will Menschen Freiheit bringen, deren Zuhause man wohl kaum ein solches nennen kann, die unter anderen leiden und langsam einen lebendigen Tod sterben.

Ich will lieben. Ich will dienen. Ich will das Wesen anderer Menschen nicht mit Härte beurteilen, sondern in Liebe annehmen. Ich will ihre Gedanken, Gefühle und Themen in Liebe betten und ihnen die Füße waschen. Ich will ihnen den Vater zeigen.

Ich will die Wahrheit Gottes aussprechen, ausleben, weitergeben. Nichts ist so gut wie er, nichts ist vergleichbar mit seiner Nähe. Es gibt keinen anderen Weg zu Gott als durch Jesus und seinen Tod. Es ist keine Botschaft von „du sollst“ und „du musst“, sondern eine Botschaft der Liebe und Freiheit, und ich will sie hinaustragen und das Feuer in meinem Herzen weitergeben.

Ich will kämpfen. Ich werde kämpfen. Für das alles, für Liebe, für Leben, für Wahrheit. Ich bin dazu ausgewählt, eine Kriegerin, eine Anführerin zu sein. Selbst mein Name bedeutet Kriegerin. Trotzkopf, Sturheit, Durchsetzungsvermögen, Leiterschaft, immer willst du der Bestimmer sein – es gibt viele Facetten davon.

Das will ich. Das will ich machen.

Das werde ich machen.

Wenn große Brüder verliebt sind

Woran merkt man als kleine Schwester, dass der große Bruder verliebt ist?

Er schenkt dir auf einmal etwas zum Geburtstag, was er sonst kaum gemacht hat, und fragt nach, wie es dir gefallen hat. (Weil er das selbe seinem Mädchen schenken will.)

Er interessiert sich auf einmal für dich als Mädchen. Was ist dir wichtig, was ließt du, was magst du, wie bist du so? Wie sind Mädchen gestrickt? Was freut Mädchen?

Plötzlich ist er sympathisch, hilfsbereit, nett und charmant, als hätte man einen Schalter umgelegt. Und wir Schwestern fragen uns, wo so viel guter Charakter auf einmal herkommt.

Man kann mit ihm richtig reden. Vielleicht ist das nur bei meinem Bruder so, aber sehr lange war es kaum möglich, sich mit ihm normal zu unterhalten oder über ernstere Themen zu reden. Kaum ist er verliebt – zack, geht das.

Vielleicht spricht er auch mit dir darüber. Wie schwer es ihm fällt, geduldig zu sein, oder wie anstrengend es ist, immer den ersten Schritt machen zu müssen, aber dann auch wieder toll. Was er ihr schenken könnte. Dass er sie vermisst.

Und du als kleine Schwester denkst „Woooowoowow, wo kommt das alles auf einmal her?“. Klarer Fall – er ist verliebt. Genießt es, liebe Schwestern! Das fällt immer zu unseren Gunsten aus. Und wenn dein großer Bruder sehr unerträglich ist (und noch nie verliebt war): Habe Hoffnung und Geduld! Es kann sich noch viel ändern. :-)

Mittel-Mensch

(Nicht unbedingt zum sich-angesprochen-fühlen, aber ganz vielleicht ja doch.)

Bist so ein Mittel-Mensch, so mittel irgendwas. Bewegst dich in der Mitte zwischen Meinungen und Menschen, sammelst dir so zusammen, was dir gerade passt. Ein bisschen dies, ein bisschen das. Hin und her. Gehst nie den letzten Schritt; den Schritt, der es echt und ganz und verbindlich machen würde. Nein, bleibst dazwischen, siehst dich vielleicht sogar als so etwas wie eine Verbindung. Und bist stolz darauf.

Willst es so. Mittel sein. Mittelweg gehen. Mitte ist gut, sagst du. Balance und so.

Was soll das?! Mach ganze Sache! Diese ganze Mittel-Mentalität lässt dich als Person mittel werden. Ist „okay“ dir denn schon genug? – Verändere dich! Wer bist du? Entwickel dich! Du weißt selber nicht, auf welcher Seite du stehst. Deine Meinungen schwanken wie Grashalme im Wind. Die Entscheidungen, die du triffst, haben kein Gewicht. Du kannst das alles ändern! Du kannst dich ändern!

Wofür stehst du? – Stehe für etwas!

Wohin willst du? – Geh los!