Was passiert ist

… seit dieser Blog ins Koma gefallen ist.

  1. Ich habe geheiratet. Einen gutaussehenden, liebevollen Nerd und Träumer, der mir heute Nacht um fünf den Rücken massiert hat, weil der so weh tat. Der Mann ist kreativ und witzig und genau das, was ich will. (Ihr habt ja schon von ihm gelesen.)
  2. Dieser Mann ist auch bei mir eingezogen. Umziehen finde ich furchtbar anstrengend, selbst wenn es nur Umziehen light ist: Die drei Kisten meines Minimalistenmannes in meine Wohnung integrieren, alles ein wenig umstellen und ein Bett bauen. Es ist wunderbar, dass er jetzt hier wohnt, aber auch eine große Umstellung, an der ich noch arbeite.
  3. Ich bin in mein Bachelorarbeitsprojekt gestartet. Ich studiere Psychologie, und bei uns an der Uni ist man zwei Semester mit seiner Bachelorarbeit beschäftigt. Für die letzten Wochen hieß das viel Literatur lesen, ein Experiment vorbereiten, einige Testläufe starten und einen Vortrag über all das halten.
  4. Ich war krank. Nichts schlimmes, nur so ein Erkältungs-Grippe-Infekt-Irgendwas. Aber dafür heftig und zweimal hintereinander. Im Abstand von zwei Wochen. Und jedes Mal so zwei bis drei Wochen. Eigentlich war ich von den letzten acht Wochen fünf oder sechs krank. Man, ich will endlich wieder Sport machen.
  5. Einmal mehr war ich auf der Beerdigung eines Menschen, der sich lange vor der Sollbruchstelle des Lebendigseins verabschieden musste. Mein Cousin war nur wenige Jahre älter als ich. Es ist eine Süße in der Traurigkeit: Wie unglaublich viele Menschen ihn geliebt haben, wie gelassen und friedlich er seinem irdischen Ende entgegen gegangen ist und wie viel Trost Gott seiner Familie jetzt schon geschenkt hat. Trotzdem macht es mich traurig.

Viel. Viel ist passiert.

So, das waren jetzt ungewohnt viele Informationen aus meinem echten Leben für diesen Blog. Ich hatte gerade das Bedürfnis, hier ein Update zu schaffen. Keine Sorge, wir kehren umgehend wieder zu der gewohnten Verwirrung zurück: Meint sie das ernst oder nicht? Ist das aus ihrem echten Leben oder ausgedacht? Wer ist sie überhaupt?

To be continued.

Die Brücken hinter mir

Ich streife durch die Heimat, durch heimatliche Orte, Orte voller Bedeutung und Erinnerung.

Irgendwie ist da so ein Loch.

Da ist so ein Loch, wo Heimat hingehört.

Ein bisschen schon immer. So etwas passiert, wenn man seine gesamte Kindheit und Teenagerjahre in einer so genannten „Übergangslösung“ wohnt. Trotzdem war es nun mal immer dasselbe Dorf und es war auch immer dieselbe Stadt, in die ich für Schule, Kirche, alles gefahren bin. Irgendwie ist das trotzdem Heimat. Und durch diese Heimat streife ich

und es tut weh.

All das, was kaputt gegangen ist, tut weh.

So viele Freunde, die nun weg sind, ob Kontaktabbruch, weggezogen oder tot. Die Kirche, die ebenfalls ein Zuhause war und nun zerrüttet ist und nichts übrig ist als etwas, zu dem ich kaum noch Bezug finden kann. Meine Familie, in der sich so viel verändert hat, manches gut, manches schlecht, vieles herausfordernd. Große Bauunternehmen verändern das äußere Erscheinungsbild stetig. Meine Heimat wird mehr und mehr etwas, was – wenn überhaupt – nur noch in meiner Erinnerung existieren kann.

Ich gehe durch die Straßen und nehme Abschied, Ort für Ort, von allem, was dort passiert ist, was ich damit verbinde, wer dort einmal war oder vielleicht noch ist. Ich nehme Abschied und bin traurig. Traurig sein ist wichtig. Ich bin oft zu wenig traurig. Aber jetzt bin ich traurig. Jetzt ist okay, ganz in Ruhe zu spüren, wie sehr es weh tut.

Ich werde noch ein wenig hier bleiben. Hier, wo es weh tut. Es ist gut, hier zu sein. Und dann, bald schon,

geht es weiter.

Paralleluniversen: Heute ohne mich.

Tausend Pläne entstehen in meinem Kopf.
Tausend Mal: „Was wäre wenn?“
Tausend Mal: „Vielleicht…“
Tausend Mal: „Aber…“
Tausend kleine Paralleluniversen, die es nur in mir drin gibt.

Tausend kleine Paralleluniversen, und in jedem wohne ich schon ein bisschen, fühle mich schon ein bisschen zu Hause. So, als wäre es bereits hier. Ich betrete sie, komme und gehe, so wie durch einen Kleiderschrank in magische Welten. Ich trampe durch die Paralleluniversen beim Spazierengehen, beim Fahrradfahren, in Vorlesungen, wenn ich nicht einschlafen kann, beim Zähneputzen, Zugfahren, Essen – eigentlich immer.

Manchmal ist das ganz schön anstrengend.

Manchmal wäre es viel schöner, einfach nur hier und jetzt zu sein. Einfach nur das sehen, was vor meinen Augen ist, und das zu tun, was jetzt gerade wichtig ist. Nur die Menschen, die gerade um mich herum sind.

Manchmal klappt das – nur hier und jetzt sein. Besonders gut klappt das, wenn es mir gut geht und wenn gerade die großen Dinge in meinem Leben sicher stehen. Aber dann wird die Wohnung gekündigt. Wohnung gekündigt, das heißt umziehen. Umziehen, das heißt, suchen und aussuchen. Das heißt, entscheiden müssen. Das heißt, irgendetwas verlieren und irgendetwas gewinnen, hoffentlich mehr gewinnen als verlieren.

Das heißt vor allem aber:
Unsicherheit.
Nirgends wachsen mehr Paralleluniversen als auf diesem Boden.

Mein Kopf ist von innen ziemlich groß. In meinem Kopf verbringe ich sehr viel Zeit. Nur Denken – oft ist mir das Beschäftigung genug. Aber jetzt gerade brauche ich mal Urlaub von meinem Kopf. Urlaub von all den Paralleluniversen, durch die mein Kopf unaufhörlich hindurch zappt, vor, zurück, wieder ein Neues.

Tausend Paralleluniversen, und ich höre nicht zu. Ich schaue nicht hin. Jetzt gerade mal nicht. Ich erzähle mir selbst, was ich sehe: „Guck mal, Sina, draußen regnet es. Eigentlich könntest du dein Zimmer mal wieder aufräumen. Da steht die Sonnencreme, die du endlich mal gekauft hast. Auf dem Piano steht das Lied, das du gerade lernst. Schau mal, auf der Kommode: Das Kreuz, das Glas, die Kerze, das Bild, das du in Malaysia gemalt hast. Und die Musikboxen. Dein Schmuckkästchen. Ach, da liegt ja auch das Portemonnaie. Der Teppich auf dem Boden. Oh, schau. Die Sonne bricht durch die Wolken.“

Das hier ist das einzige Universum, in dem ich wirklich bin. In dem ich sein muss. Hier bleib ich. Es geht mir gut.

Schützenfest – Alle Jahre wieder …

Alle Jahre wieder kommen sie mit groß Tamtam und mit stolzgeschwellter Brust mit ihren Gewehren und Schützenkönig und Hofstaat und blabla an unserem Haus vorbei. Einmal Samstag, zwei Mal Sonntag, einmal Montag. Glaube ich. Und spielen dabei alle Jahre wieder die gleichen Lieder. Wir haben zwei verschiedene Kapellen – die sich nicht so ganz abstimmen, und so spielen sie manchmal gleichzeitig.

Alle Jahre wieder will keiner Schützenkönig werden, weils so teuer ist, und das Geschieße dauert ewig, weil alle absichtlich daneben zielen. Es wird gegessen und getrunken (vor allem getrunken). Abends wird zu schlechter Musik (die man bei mir im Zimmer noch hört) noch mehr getrunken und getanzt. Kinder bis sechzehn Jahren versuchen jedes Mal wieder, nicht rausgeschmissen zu werden, und wer sich nicht ganz doof anstellt, schafft das in der Regel auch. Am Folgetag erzählen sie dann stolz im Bus, wie viel Alkohol sie erwischt haben – und beschweren sich über Kopfschmerzen. Na so was aber auch.

Alle Jahre wieder wird der Verkehr blockiert. Die Busse sind viel zu spät, weil sie den Umzug abwarten müssen. Und ich muss deswegen warten und die ganze Zeit diese peinliche Form der Dorfkultur ertragen. Im Bus befinden sich dann andere Flüchtlinge auf ihrem Weg ins Exil, alle genauso genervt wie ich.

Jedes Dorf hat seine Feste, und bei uns in der Gegend ist es halt das Schützenfest. Ist ja auch okay – irgendeinen Vorwand braucht man ja, um sich gemeinsam bei schlechter und lauter Musik diverse Rauschmittel zuzuführen.

Nur – warum müssen die mich da mit reinziehen? Warum muss ich die „Musik“ ertragen und ewig auf meine Busse warten, nur weil die sich zusaufen wollen?

„Sina, das ist eben Dorfkultur. Für die ist das eben wichtig. Das musst du doch verstehen“, sagt meine Mama, die sich noch am meisten von uns bemüht, sich in unser Dorf zu integrieren.

Ne, sorry. Kann ich nicht verstehen.

Das einzige Gute ist, dass ich da immer 10€ kriege.
(Mag kindlich klingen, aber was anderes Gutes ist mir beim besten Willen nicht eingefallen.)