Der Mensch hinter deinem Gesicht

Du sitzt da und redest mit mir, erzählst mir irgendetwas von Klischees über Männer und Frauen und die Männlichkeit von gesunder Ernährung. Du redest mit mir, und ich frage mich, wer diese Person eigentlich ist, mit der ich da spreche. Was hinter deinen Worten steckt. Was hinter deinen Bewegungen steckt. Was hinter deiner Mimik steckt. Was hinter deiner Stirn steckt.

Ich kenne dich kaum, verglichen mit dem, was es da alles zu kennen gibt. Wie viele Dinge tut der Mensch an einem Tag? Wie viele Dinge lässt er? Wie viele Gefühle hat der Mensch an einem Tag? Wie viele Gedanken? Wie viele Themen geistern dem Menschen an einem Tag im Kopf herum? Wie viele Ideen? Ängste? Freunden? Fantasien? Aus wie vielen Motiven handelt der Mensch an einem Tag? Aus wie vielen Überzeugungen? An einem einzigen Tag? Heute? Und wie ist das mit einer Woche? Einem Monat? Einem Jahr? Einem Lebensabschnitt?

Ich weiß nichts von dir. Du redest mit mir und ich weiß nichts. Dein Gesicht ist schön, doch ich habe keine Ahnung, wie der Mensch dahinter aussieht.

Von wem weiß ich überhaupt etwas? Wen kenne ich? – Gibt es da überhaupt jemanden? Bei einigen Menschen streife ich einen Bruchteil dessen, was sie sind, doch selbst diejenigen, die ich am besten kenne, sind so viel größer als alles, was ich je sehen könnte.

Wie könnte ein Mensch je behaupten, einen anderen zu verstehen?
Wie könnte es ein Mensch je wagen, einen anderen zu beurteilen?
Wie könnte sich ein Mensch je über einen anderen Menschen stellen?

Du redest mit mir und das alles, was du sagst und was du bist, ist nicht so simpel wie es klingt. Du bist nicht so unscheinbar, wie du immer tust. Du bist so viel mehr als das, was ich weiß. Da gibt es so viel mehr, was man nachvollziehen könnte.

Aber ich verstehe ja nicht mal mich selbst.

Frei sein

(Ein Text vom 8. Januar 2013)

Mir geht dieses eine Lied durch den Kopf, Stardust von Lena: „No one can catch us, nothing can change this …“ Ich mag es. Es ist Freundschaft und frei sein.

Frei sein.

Das, was nicht ist. Frei sein, das heißt: Glücklich, unbeschwert. Zusammen.

Frei sein, das ist so eine Sache, die alle versprechen, weil es keiner halten kann. Wenn es viele Rezepte für etwas gibt, ist das ein Indiz dafür, das keins so richtig überzeugend ist. Alle wollen es, alle kennen es; keiner, der es ganz hat, ganz kann.

Frei sein, das ist wie eine Blume in einem Blumentopf, die gegossen und gepflegt werden will. Sie ist nicht einfach so, bleibt nicht einfach so. Und sie hat ihre Grenzen. Irgendwie. Paradoxerweise.

Die Frage ist ja eigentlich, ob es das wert ist. Was man dafür tun muss und was man davon hat. Das Verhältnis davon.

Das tun-müssen ist ja die Frage. Lauter Versprechen, lauter Anleitungen, um es zu bekommen. Das Glück, die Freiheit, das volle Leben. Und wir fallen darauf rein, wieder, wieder, wieder und immer, immer wieder. Weil die Sehnsucht danach so groß ist. Weil es weiter gehen soll, was wir kurz erleben. Dass unendlich wird, was nur ein paar Momente sind. Wir folgen irgendwelchen Anleitungen, Regeln oder gerade den Nicht-Regeln. Und, weil das schöner ist, sagen wir uns danach gerne: Es ist jetzt besser. Naja. Es ist jetzt zumindest nicht viel schlimmer …

Und was man davon hat? Naja, halt das Glück und so. Nicht. Oder doch? Irgendwie ziemlich viele Reinfälle und sinnlose Aktionen. Frust.

Doch dann kommt der Moment, wo es egal ist. Alles. Ob ich glücklich bin oder nicht. Ob ich frei bin oder nicht. Ob ich unbeschwert bin oder nicht. Wo das alles keine Rolle spielt.

Der Moment, indem alles egal wird und nur noch eins zählt – da bin ich glücklich.

Und kaum versuche ich es festzuhalten, wird es zu wichtig, zu utopisch, und löst sich in Luft auf. Es lässt sich nicht ins Fadenkreuz nehmen. Der Fokus Freiheit ist ein Fokus ins Nichts. Seinen Kompass danach zu stellen, führt in die Irre. Dein Norden liegt woanders …

Glück, Freiheit – was für ein Schlamassel.

Rückspiegelmenschen

Wenn man ist wie ich, reicht manchmal ein Rückspiegel, um über Menschen zu philosophieren.

Weißt du, ich saß im Auto, Beifahrersitz, und hab mir einen Spaß daraus gemacht, die ganze Zeit nur in den Rückspiegel zu gucken. Ergebnis: Man sieht nicht besonders gut, was kommt, sondern nur, was hinter einem ist. Ach. Und es kann einem schlecht werden.

Es gibt irgendwie auch so Menschen, die ihr ganzes Leben nur im Rückspiegel sehen, oder? Da kann einem auch von schlecht werden.

Weißt du, eigentlich macht es mehr Spaß, vorne raus zu gucken.

heile (Selbstbetrugs-)Welt

Es ist, als würden sie sich alle eine heile Welt bauen.

Es ist, als würde sich jeder einbuddeln, die Augen schließen, um vor dem inneren Auge ein Leben zu führen, dass weder langweilig noch außer Kontrolle geraten ist. Sie fliehen vor dem, was sie nicht wissen wollen, in ihren mühsam errichteten Selbstbetrug.

Sie haben einen Hund. Sie haben ein Motorrad. Sie haben ein Klavier. Sie haben Bücher. Sie haben Freunde. Das ist die heile Welt. Alles ist gut. Sie gehen mit ihrem Hund spazieren, fahren mit dem Motorrad davon, nur weg. Sie übertönen das dumpfe Gefühl mit Geklimper, nur nicht die Stille hören. Sie tauchen in Bücher ein, um sich selbst glauben zu lassen, sie lebten in einer anderen, wunderbaren Welt. Sie besuchen Freunde, lachen extra laut, um nicht mehr dieses etwas zu spüren. Es ist so dumpf. Sie haben es verdrängt, aber es ist dennoch da. Schlummert im Unterbewusstsein. Oder wacht im Unterbewusstsein.

Was ist es?

Sie bauen sich ihre Kulisse. Streicheln den Hund. Putzen das Motorrad. Machen Musik. Lesen. Tratschen mit den Freunden. Eine heile Welt. Es ist doch alles okay, oder?

Nein, ist es nicht, und das spüren sie auch.

Doch es ist, als bauen sich alle ihre heile Welt, um darin verschwinden zu können und um eine Tür ganz fest zuknallen zu können. Peng. An der Tür baumelt dann ein Schild:

„Betreten verbc“

Dann war die Farbe alle.