Wie weit weg bist du wirklich?

Du wartest auf mich hinter meinen Augenlidern. Mit geschlossenen Augen kann ich dir ins Gesicht sehen und ich lege all meine Liebe in diesen Blick. Da bist du immer, bist die ganze Zeit mir vor Augen. Und ich weiß, ich fühle es, wie auch du mich im Blick hast, immer wieder nach mir siehst und zu mir rüberschaust. Ich schließe meine Augen hier und du schließt deine Augen dort und dann sind wir im Blickkontakt, unsere Herzen sind in Blickkontakt. Bitte hör nicht auf, mich so anzusehen.

Und bitte erzähl mir was. Von dir. Von allem. Du erzählst mir von dir dort und ich erzähle dir von mir hier. So anders, so verschieden, wie Strophen eines Liedes, und solange immer wieder der Refrain kommt – das sich mögen und aufeinander freuen und aneinander denken – solange immer noch ein Refrain kommt, solange geht es mir gut. Wir gehen gerade zwei verschiedene Wege, doch aufeinander zu, sie führen zum selben Ziel, zum selben Punkt: Zusammen. Blickkontakt mit offenen Augen und kein Millimeter Abstand zwischen uns.

Noch liegen ein Dutzend Länder mit einem Dutzend Sprachen und einem Dutzend Kulturen zwischen uns, aber wie weit weg bist du wirklich, wenn mein Herz dein Herz sieht und dein Herz mein Herz versteht und dein Herz sich auf mich freut und mein Herz dich liebt?

An die zwei Süßen aus der Uni.

Ich bin in euch reingelaufen, als ich einen Bericht abgeben musste. Ihr standet unten zwischen den Glastüren, am Knotenpunkt zwischen Gebäudeteil F und G und Gamma und dem Aufzug in die Laborhöhen. An genau so einem Ort, wo man sich eben trifft, aber wo auch kein richtig guter Platz ist, um stehen zu bleiben. Seid ihr aber. Und ich musste an euch vorbei. Bin ich dann auch. Hab mich an euch vorbeigequetscht und bin die 328 Stufen hochschlurft, bis da dann irgendwann in einem verwinkelten Flur zwischen geschlossenen Bürotüren und verstaubten Lampen ein merkwürdiger Briefkasten versteckt ist. In den habe ich meinen Bericht geworfen und bin die 328 Stufen wieder hinuntergeplumst. Bin auf dem Weg einem viel zu gestressten Prof von mir begegnet, der gerade noch so „Hallo“ heraus gebracht hat, bevor er die 10 Stufen eines Treppenabsatzes mit drei Sprüngen und fünf Ordnern unterm Arm und einer Kaffeetasse in der anderen Hand zurückgelegt hat. Jedenfalls bin ich nach dem Abgeben dieses Berichtes wieder dort unten angekommen, dort bei euch, zwischen Gebäudeteil F und G und Gamma, dem Aufzug in die Unendlichkeit und dem Treppenhaus zu verstaubten Flurlabyrinthen. Und ihr habt mir schon wieder den Weg versperrt. Wie ist eigentlich der Prof an euch vorbei gekommen? Drübergesprungen?

Ihr standet immer noch da. Selbst ein Blinder hätte gesehen, wie sehr ihr aufeinander steht. Wie verlegen ihr lacht und wie verkrampft ihr versucht, das Smalltalkgespräch irgendwie in die Länge zu ziehen, damit endlich irgendjemand fragt, wie es denn mit nem Treffen aufn Kaffee wäre. Und weil ich die 328 Stufen hoch und die 328 Stufen runter schon über euch gegrinst habe, tue ich euch mal den Gefallen:

„Ey, ihr steht da voll ungünstig, und wenn ihr schon dabei seid, euch wegzubewegen: Trefft euch auf nen Kaffee. Ihr wollt es doch beide.“

Ich sehe die verdutzen Gesichter im Rückspiegel und schaue zu Hause im Briefkasten nach, ob die Hochzeitseinladung schon angekommen ist. Gern geschehen.

Tausendundeine Art

Es war einmal am 3. Januar.

Es gibt tausendundeine Art, sich zu verlieben,
und deine
ist nur eine
davon.
Und meine
ist vielleicht eine andere.

Vielleicht will dich am Ende ja gar nicht. Das weiß ich auch noch nicht. Und vielleicht entscheidest du dich auch anders. So viel vielleicht. So viel vielleicht liegt da vor uns, dass ein Nein so viel wahrscheinlicher ist als ein Ja. So viel sicherer. Vernünftiger. Aber das Leben ist sowieso nicht sicher und vernünftig. Warum also so tun?

Du und ich.

Es gibt tausendundeine Art, sich zu verlieben,
und vor zwei Tagen hast du es gewagt, mich zu berühren, ganz absichtlich und fokussiert und zärtlich. Meine Haare und dann mein Gesicht, hast es nachgemalt, hast mich dabei angesehen, die ganze Zeit angesehen. „Du weißt schon, wie man jemanden um den Finger wickelt, oder?“, habe ich geflüstert. Ein Lächeln zog über dein Gesicht. „Dich. Wie man dich um den Finger wickelt. Nicht jemanden.“ Da war es dann ausgesprochen: Du willst mich um den Finger wickeln und ich lasse mich um den Finger wickeln. In mir war alles kribbelig.

Es gibt tausendundeine Art, sich zu verlieben,
und du liebst die langen Blicke, die langsamen Berührungen und die Stille. Du nennst das Stimmung. Dabei wirst du immer ganz ernst. Und ich, ich mag es verspielt, mag es leicht, und ich genieße deine Berührung, genieße deine Blicke, nur manchmal, manchmal wirst du mir zu intensiv, zu ernst, zu dicht, zu viel, und dann haue ich ab, nur, um gleich darauf wieder zurückzukommen.

Mich kriegst du eher durch die Hintertür. Durch deine Kreativität und deine Unabhängigkeit, deine freigebende Art. Dadurch, wie selbstverständlich du in meiner Wohnung bist und wie ich nie so wirklich weiß, wo du bist, wenn du nicht hier bist. Mich kriegst du durch deine tiefen Fragen und deine ernsten Antworten, durch den Blödsinn in deinem Kopf und deine Art, mich zu ärgern. Vor allem aber kriegst du mich dadurch, dass du es ganz offen versuchst. Ich weiß, was du von mir willst, und ich sehe, wie du dich um mich bemühst. Du respektierst die Grenzen, die ich setze, aber wo ich keine setze, gehst du eben weiter. Und das funktioniert bei mir. Ich fühle mich dann wertvoll und mein Herz wird warm.

Es gibt tausendundeine Art, sich zu verlieben,
und wenn du da bist, wird mir warm. Wenn du weg bist, verwickle ich dich in meine Gedanken. Und seit ich weiß, dass ich dir morgen das zweite Kapitel von Ronja Räubertochter vorlesen und dir dann gute Nacht sagen werde, klopft mein Herz ein bisschen schneller.

Anstelle großer Gefühle

Texte nach einer Trennung 3/3 – Über ein Jahr danach

Alles, was in mir in den letzten Jahren dir gegenüber war, war groß. Erst habe ich dich groß geliebt und dann war ich groß verletzt. Große Trauer, große Wut. Große Gedanken und Gefühle dir gegenüber zu allen Zeiten. Ich habe alle Arten von Texten über dich geschrieben. Ich habe alles gefühlt.

Irgendwann wurde das weniger. Andere Dinge wurden größer als du. Die Gedanken und Gefühle, die am Anfang immer um mich waren, tauchten immer seltener auf. Immer länger dauerte es, bis wieder so viel aufgestaut war, dass ich doch mal wieder darüber reden, schreiben, weinen musste.

Gestern haben wir geredet. Es war so gut, weil ich genau das loswerden konnte, was noch übrig geblieben ist von all den großen Gefühlen. Ein paar Sätze, destilliert nach all der Zeit: Wo ich dich inzwischen verstehe. Was ich mir noch gedacht habe. Dass es jetzt anders ist.

Du hast mir auch ein bisschen was gesagt, hast so glorreich herumgestottert und bist nicht zum Punkt gekommen, wie nur du das kannst. Ich habe dich damit aufgezogen und wir haben beide gelacht. Verstanden habe ich dich trotzdem. Wir sind beide anders geworden. Das tut gut. Gern hab ich dich immer noch. Am Ende haben wir uns umarmt.

Eine Sache ist übrig geblieben. Da, wo so lang so große Gefühle waren, ist jetzt etwas Kleines, aber Unnachgiebiges, etwas Tiefes und Klares, das keinen Raum mehr lässt für Verwirrung und Groll. Etwas Friedliches und Neues. Etwas, das fest bleiben wird, selbst wenn der Schmerz doch mal zurück kehren sollte.

Etwas, das sagt:

Du bist Teil meiner Geschichte und es ist schön, dass es dich gibt.

Schatten und Erinnerung

Texte nach einer Trennung 2/3 – Monate danach

Sein Schatten war stets bei mir. Schattenaugen, die ich auf mir spürte. Schattenstimme, die ich hörte, immer noch. Schattenberührungen, und doch nur endlos leere Abdrücke seiner Hände, seiner Lippen, weil er ja eigentlich gar nicht mehr da war. Verlassen werden ist einfach scheiße.

Mein Gehirn wie ein Labyrinth und hinter jeder Ecke ein Schatten von ihm. Sein Schatten klebte an allem und vor allem an mir und flößte mir immer wieder dieselben Gedanken ein, immer wieder die selben Bilder, Worte, Momente. „Komm, spiel mit mir“, raunte er in mein Ohr. „Dasselbe Gedankenspiel von gestern und vorgestern nochmal, wie wärs?“

Ich hatte etwas gefunden, das außergewöhnlich war, und deswegen habe ich außergewöhnlich geliebt und außergewöhnlich geschenkt. Doch der Schatz war wie eines von diesen Kippbildern, und er hat etwas ganz anderes gesehen als ich. Es fühlte sich alles wie Lüge an. Belogen, und ich alleine mit seinem Schatten, den ich doch gar nie eingeladen hatte.

Schattentage und Schattenmonate und beinahe war es schon normal. ‚Ist das noch normal, wie lange ich brauche, um keine Schatten mehr zu sehen?‘, dachte ich und dachte an ihn. Blickte in seine Schattenaugen, wie zärtlich sie mich früher angesehen hatten und wie befremdet dann später, blickte ihn an und er war gar nicht da, dachte gar nicht mehr an mich.

Plötzlich – beinahe hätte ich es selbst verpasst – verblasste sein Schatten und verschwand. Es blieben Erinnerungen. Manche tun weh. Andere nicht. Es gibt welche, die lassen mich lächeln. Das fühlt sich dann nicht mehr bitter an. Wenn ich die Erinnerungen wegschicke, gehen sie weg. Keine Augen mehr, die auf mir ruhen. Keine Schattenstimme in meinen Ohren und keine Abdrücke auf meiner Haut. Keine Schattenschreckgespenster mehr.

Ja, ich wurde verlassen, aber ich bin alles andere als eine Verlassene. Mein Gedankenlabyrinth ist wieder ein Ort der großen Entdeckungen und der unendlichen Möglichkeiten. Vielleicht war ich selbst auch nur noch ein Schatten. Und irgendjemand, vielleicht Gott, malt mich gerade mit neuen Farben wieder bunt, wieder zu mir selbst.

Wie wird es sein? oder: Hoffen

Texte nach einer Trennung 1/3 – Einige Tage danach

Wie wird es sein, eines Tages, wenn ich in die Augen eines Mannes sehe und mit allem, was ich bin, spüre und sehe und höre, dass er, mit allem was er ist und nicht ist, was er denkt und fühlt und wünscht und plant und hofft – mich will? An seiner Seite will, in seinem Leben will. Weil ich es ihm wert bin und er mich liebt. Weil er einen Weg gegangen ist und geprüft hat und Gott gefragt hat und jetzt weiß: Er hat ein Ja zu mir.

Wie wird es sein, eines Tages, wenn ich mich schenken darf, mich ihm schenken darf, mein Alles – weil er mich ganz will? Wie wird es sein, wenn ich eines Tages mich öffnen darf vor diesem Mann, und es ihm das Kostbarste ist, was ein Mensch ihm schenken könnte? Wenn ich schenken darf und spüre, es ist ihm noch so viel mehr wert als mir, ich bin ihm noch so viel mehr wert, und er sieht mich und will mich und es ist ihm kostbar, ich bin ihm kostbar.

Wie wird es sein, eines Tages, wenn ein Mann mich so zu lieben weiß, dass ich mir dessen von Herzen sicher sein kann? Wie wird es sein, wenn da ein Mann ist, und ich weiß: Sein Ja zählt? Er hat mir ein Ja gegeben und ich brauche keine Angst zu haben, mich nicht verstellen, verstecken, so sehr versuchen, es nicht zu verlieren. Ein Mann, der – so wie ich, mit mir zusammen – lachen kann angesichts der Stürme und Stolperfallen, durch die wir schon gefallen und geirrt sind und durch die wir hindurch gefunden haben, und mit dem ich lache angesichts derer, die gewiss noch kommen, und auf die wir voller Zuversicht zugehen, weil tief in unseren Herzen geschrieben steht: Das ist es wert. Du bist es wert. Komm.

Wie wird es sein, eines Tages, wenn ich gedankenverloren die Hand eines Mannes halte, mit den Fingern darüber fahre – an der Hand eines Mannes bin, der liebt, mir zu sagen, was ich ihm bedeute, der Worte sucht, nur für mich, weil er verstanden hat, wie viel mir das bedeutet? Der sich aufmacht, auf die Suche macht, mir immer noch einmal neu und besser und inniger zu sagen, was er an mir liebt, wie sehr, wer ich in seinen Augen bin, seine Gedanken über mich. Der einfach, weil er weiß, wie gut mir das tut und wie warm und voll die Saiten meiner Seele zu klingen beginnen, wenn er sie mit seinen Worten anschlägt – der einfach, weil er es liebt, zu sehen, wie ich mich dann darüber freue und darin aufblühe – der einfach deswegen niemals damit aufhört.

Wie wird es sein, eines Tages, wenn ein Mann Gott sucht wie ich und vielleicht noch mehr, sich nach Gottes Worten sehnt wie ich und vielleicht noch mehr, und wenn ihm Gottes Worte Frieden und Vertrauen geben wie mir und vielleicht noch mehr? Wenn ein Mann, den ich in Gottes Händen sicher weiß und der mich in Gottes Händen sicher weiß, beschließt, mir seine unperfekte Liebe zu schenken, selbst zu lernen und Geduld mit meinem Lernen zu haben, mich um Vergebung zu bitten und mir zu vergeben, und der mein Herz sieht, das das alles will und sich ihm schenken will, und der Ja dazu sagt?

Wie wird es sein?

Momentan sind da Scherben, über die ich noch hinübersteigen muss, um weiterzugehen. Ich weiß, irgendwann werde ich zurückblicken und sehen, dass diese Scherben Pflastersteine meines Weges geworden sind.

Da ist ein Mädchen in mir, eine Frau in mir, die in einem wunderschönen Sommerkleid im Licht der Abendsonne einen Kuss mit einem Mann teilen will, von dem sie sagen kann: Ich bin meines Geliebten und sein Verlangen steht nach mir. Liebe ist sein Banner über mir. Ich habe sein Herz geraubt mit nur einem Blick aus meinen Augen.*

Diese Frau bin ich. Wie wird es sein?, frage ich mich. Wird es sein? Die Scherben, der Weg vor mir. Wird es sein?

Ich lebe hin, hoffe hin auf dieses Ja, und hoffe zu wissen und versuche zu lernen, dass es dieses Ja zu mir und diese Liebe für mich gibt, selbst wenn da niemals ein Mann kommt, der sie mir schenkt. Weil sie mir schon geschenkt ist.

Ja, ich darf fragen: Wie wird es sein? Und noch tiefer darf ich wissen: Es ist schon.

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* aus dem Hohelied in der Bibel

Du öffnest deine Hand

Texte vom langsamen Beginn einer ersten Liebe 1/4

Du öffnest deine Hand und ich lege die meine in deine.

Lange war sie verschlossen, deine Hand, und all deine Gedanken, all deine Gefühle, blieben in dir. Du bewegtest sie in dir und ließt sie keinen Weg hinaus finden. Schwer war das alles in dir, doch leichter es bewahren als irgendetwas zu zeigen. Du hast mich angesehen und deine Gedanken erzählten ihre eigene Geschichte. Dabei warst du auf meinen Wegen, ohne zuvor Fragen zu stellen, und hast mir aufgeholfen, mich ins Gleichgewicht gebracht. Und doch blieb deine Hand verschlossen, und ich griff nie nach ihr. Ich sah dich an. Sah dich an und sah dich an. Ich frage mich, wie du es nicht gesehen hast. Und du wolltest hinaus, doch bliebst in dir, bliebst in dir stecken, und ich saß meine Ungewissheit aus. Wusste nie, was da noch war, ob da noch etwas war. Doch jetzt hattest du Zeit, Zeit diese Schlacht zu schlagen, und endlich, endlich…

öffnest du deine Hand und bietest sie mir an. Und ich nehme sie, als hätte ich nie etwas anderes getan, als hätte ich es schon lange gewusst.