Vom Können und Nicht-Müssen

Heute war ich mit Sohnemann in einer Mama-Baby-Gruppe.

„Ich weiß, man soll ja nicht mit den Kindern an den Händen laufen lernen, aber sie will das gerne. Ich will das auch, mir macht das Spaß. Ich machs ja auch nicht so viel. Ich weiß nicht, ob das so okay ist,“ sagt eine Mutter.

Den ganzen Morgen hatte ich schon darüber nachsinniert, wie das ist mit dem Druck, der auf den jungen Eltern lastet. Ich habe ein Kind, das fast nur lernt, was wir ihm aktiv beibringen. Jeden Tag fördern, üben wir an verschiedenen Baustellen. Ich mag es, weil es meinem Sohn gut tut und er das braucht, um sich zu entwickeln. Aber ich hasse es auch, weil ich es nicht mag, alles aktiv beibringen zu müssen. Mein Mann und ich stehen unter einem besonderen Druck, weil wir dafür verantwortlich sind, dass unser Sohn sich entwickelt – was wir ihm nicht beibringen, passiert oft nicht. Alles wird gemeinsam erarbeitet. Alles müssen wir im Blick haben. Was für vergessen, stagniert.

Dabei lernen wir sehr viel über Kindesentwicklung. Was fördert, was bremst. Nach unseren Maßstäben machen die anderen Eltern um uns rum vieles falsch. Wir sagen dazu nichts. Warum nicht? Weil es egal ist. Kinder sind so gemacht, dass sie keine optimalen Umstände für eine tolle Entwicklung brauchen. Unsere Physiotherapeutin sagte bezogen auf die motorische Entwicklung so schön: „Die meisten Kinder sind so gemacht, dass man bei ihnen alles falsch machen kann und sie sich trotzdem richtig entwickeln.“ Ich denke mir, das hätte ich auch gern. Wie könnte ich gelassen und entspannt sein, wenn ich wüsste, dass sich mein Kind von alleine toll entwickelt und ich „einfach nur“ Mama sein muss! Und wie toll für die normal entwickelten Kinder, dass sie Mamas haben dürfen, die das leben können! Während ich versuche, neben all der Förderung und Therapie- und Arztterminen doch irgendwie die Gelassenheit und emotionale Verfügbarkeit zu leben, die ich mir für die Mama meines Kindes so wünsche…

Und doch leben viele Mamas genau wie ich. Obwohl sie das nicht müssten. Es bricht mir das Herz für die Mamas. Ich wünschte, sie würden diese innere Last loslassen.

Also sage ich was zu der Mama und in die Runde. Darüber, wie toll sich Kinder entwickeln, auch wenn einem Fehler unterlaufen. Dass es nicht perfekt sein muss. Dass sie es sich leisten kann, Dinge mit ihrem Kind zu machen, „die man eigentlich nicht machen soll“. Dass der Druck nicht sein muss. Wie sehr ich ihnen diese Gelassenheit wünsche, die ich selbst so gerne hätte, die bei uns aber gerade nicht drin ist. Und dass ich finde, diese ganze Energie, die Eltern fitter Kinder in „wie mache ich alles richtig?“ und „wie kann ich mein Kind noch besser fördern?“ vielleicht besser aufgehoben wäre in Fragen wie „wie gestalte ich Mamasein so, dass es mir Spaß macht?“ oder „wie sorge ich für mich selbst?“. Und hätte nicht auch jedes Kind lieber eine Mama, die gelassen und mit Freude mit ihm oder ihr durch den Tag geht, als eine Mama, die unter Druck steht, immer die richtige Aktivität mit dem Kind machen zu müssen?

‚Eine tolle Botschaft‘, denke ich. ‚Jetzt brauchen die anderen Mamas keine Angst mehr haben, etwas falsch zu machen, und können anfangen, zu genießen.‘

Es geht nach hinten los.

„Nur weil du größere Probleme hast, sind unsere nicht weniger wichtig“, sagt eine Mama. „Wenn das Sorgenkostüm so ausgeleiert ist von so großen Problemen wie bei dir, wird man halt auch zu unempfindlich für die normalen Probleme“, sagt eine andere. „Ich will halt trotzdem das Beste für mein Kind“, sagt die nächste. „Man hört das immer so, man soll sich nicht so einen Druck machen, aber das sagt sich so leicht. Wie soll ich das denn auch noch hinkriegen? Ich habe genug Baustellen“, sagt noch eine.

Ich versuche nochmal klar zu machen, dass ich das nicht meinte, dass natürlich auch kleine Probleme es verdienen, ernst genommen zu werden, dass es mir um etwas anderes ging, um den Druck und die Gelassenheit. Es kommt nicht an. Ich fühle mich merkwürdig, als hätte ich etwas Falsches gesagt, aber ich weiß nicht, was es ist.

Später geht es um Töpfchentraining. „Erst mit zwei Jahren ist es Kindern entwicklungstechnisch möglich, zu beeinflussen, wann sie pinkeln oder stinkern“, sagt die Kursleitung. Vorher brauche man also auch gar nicht darüber nachdenken. „Das habe ich aber anders erlebt“, sage ich. Erzähle von Gegenbeispielen, erzähle von unserem Sohn, der trotz Behinderung mit eineinhalb Jahren seinen Stinker kaum noch in die Windel und fast nur noch ins Töpfchen platziert. „Sowas erzähle ich den Eltern nicht so gerne“, sagt die Kursleitung. „Sie denken sonst, sie müssen jetzt auch schon Töpfchentraining machen, und dann entsteht noch mehr Druck.“

Was ist mit der Welt passiert, frage ich mich. Gibt es noch ein „kann“? Ist denn für junge Mamas jedes „kann“ direkt ein „muss“? Ich weiß nicht, wie es ist, ein normales Kind zu haben. Wäre ich genauso wie diese Mamas?

Ich wünsche mir eine Elterngruppe, in der eine Mama erzählt, dass ihr Kind mit eineinhalb erfolgreich ein Töpfchen benutzt und die anderen Mamas sagen: „Toll!“ Und dass, wenn dann die nächste Mama sagt: „Für uns ist das noch lange kein Thema“, dass auch da gesagt wird: „Toll!“ Weil es doch auch toll ist, auf seine Ressourcen zu achten, nicht alles mitmachen zu müssen, sich nicht unter Druck setzen zu lassen. Töpfchen ist in dem Alter doch ein ganz klares „kann“ und kein „muss“. Keine Mama sollte sich rechtfertigen müssen, dieses Thema zu dem Zeitpunkt noch nicht anzugehen. Keine Kursleitung sollte Falschinformationen sagen müssen, weil sie das als einzigen Weg sieht, den Mamas ein wenig Druck zu nehmen.

Es ist so viel Druck auf Entscheidungen, die ich nach den Erfahrungen mit meinem Sohn als so unwichtig empfinde. Brei füttern oder Baby-led weaning? Wann stille ich ab? Wann soll mein Kind in seinem eigenen Zimmer schlafen? Darf ich mein Kind ablenken, nachdem es sich weh getan hat, oder lernt mein Kind dann nicht, negative Gefühle auszuhalten? „Ich will meinem Kind nicht schaden, indem ich die falsche Entscheidung treffe.“

Laut so vielen Ratgebern und social media channels und Kursleitenden schadest du deinem Kind, wenn du die falsche Entscheidung triffst.

Wie kommen wir nur aus diesem Druck raus?

„Das Wichtigste für ein Kind ist eine glückliche Mama“, dieser Satz begleitet mich immer weiter.

Gerne würde ich zu all diesen Fragen sagen: ‚Ja, lass uns darüber reden. Aber lass uns erst einmal festhalten: Eine wirklich falsche Entscheidung gibt es hier nicht. Dein Kind wird sich sehr wahrscheinlich in all den verschiedenen Varianten toll entwickeln. Du wirst ihm nicht schaden. Du machst das toll und dein Kind macht das auch toll! Okay, und jetzt lass uns darüber nachdenken, welche Variante am besten zu euch als Familie passt.‘

Aber ich sage nichts mehr in der Mama-Baby-Gruppe. Ich bekomme es nicht vermittelt, was ich sagen will. Und vielleicht verstehe ich auch irgendetwas nicht, was hier ganz entscheidend reinspielt. Was weiß ich schon davon, wie es ist, ein normal entwickeltes Kind zu haben?

Im Auto denke ich noch schmunzelnd über mich selbst nach: Wenn der Druck so ein riesen Thema ist, wie kam ich eigentlich darauf, den mit ein paar Worten wegwischen zu können? Das ist der Job von jahrelangem Wachstum oder Therapie.

Wenn ich Kursleitung wäre, wie würde ich mit dem Druck „meiner“ Mamas umgehen?

Ich fahre mit einem merkwürdigen Gefühl nach Hause. Immer noch frage ich mich, ob ich etwas Falsches gesagt habe. Das ganze Treffen war emotional sehr anstrengend. Vielleicht ist es auch mal wieder Zeit, Pause von anderen Mamas zu machen. Mich auf uns selbst zu fokussieren. Vielleicht kann ich anderen nicht die Gelassenheit bringen, sondern sie wird ein Geschenk für mich selbst: Dann, wenn wir uns mehr eingefunden haben. Wenn alles ein wenig mehr Selbstläufer und ein bisschen weniger Kraftakt geworden ist. Wenn wir auf weniger Wartelisten stehen und ein größerer Anteil der Förderung von Profis als von Mama und Papa übernommen werden kann. Vielleicht kann ich diese Perspektive der Gelassenheit, die sich in meinem Kopf formt, aber noch nicht zum Alltag passt, dann einnehmen. Und sie ist einfach nur für uns als Familie.

Und die anderen Mamas finden ihren eigenen Weg.


Was denkst du?