Die Schönheit der Tränen

Was ich in den letzten Monaten über das Weinen gelernt habe.

Eine Träne löst sich aus einem Auge und läuft eine Wange hinunter. Dann eine weitere. Die Augen gerötet, die Iris leuchtender als sonst. Ein Mädchen weint.

Ihre Tränen sind ein Zeugnis. Sie zeugen davon, dass sie fühlt. In ihr, da ist etwas, das sie spüren kann, ein Schmerz, ein Leid, und sie nimmt es wahr. Sie ist nicht hart geworden. Sie ist nicht stumpf und bitter geworden unter dem Leben. Nein, sie hat etwas weiches in sich, etwas empfindsames, und manchmal tut das weh. Und dann weint sie.

Ihre Tränen sind offen. Sie sind ehrlich. Sie verbergen nichts, sondern sie tragen in aller Einfachheit und kindlicher Wahrhaftigkeit ihr Inneres nach außen. Sie sagen: Schau, so geht es mir gerade. Schau, das bin gerade ich. Etwas tut weh. Darum weine ich.

Darin ist etwas Heilsames verborgen, im Weinen, denn es bringt das Mädchen näher zu sich selbst. Sie kommt mit sich selbst in Kontakt, sie sieht sich, spürt sich, ist ehrlich mit sich. Das öffnet ihr den Weg, Frieden mit sich schließen zu können.

In einer ihrer Tränen kann jemand anders seine ganze Welt gespiegelt sehen. Wer immer sie kennt und so sieht, für den wird es intensiv sein, denn Tränen lassen ein empfindsames Herz nicht unberührt. Ein weiser und sensibler Mensch wird sie nicht verurteilen, ihre Tränen nicht fälschlicherweise mit Versagen gleichsetzen, sondern wird sie ehren für den Mut, dem Leben zu begegnen, und ihr so viel Schutz und Liebe geben, wie er gerade kann und sie gerade braucht. Ihre Tränen bringen sie näher zu anderen.

Sie weint, Träne für Träne, und sie ist schön. Die Schönheit der Tränen liegt in ihrem Bezeugen von Lebendigkeit, Weichheit und Ehrlichkeit, und all das ist ihr Wesen. Tränen sind schön, weil sie tröstlich sind, weil sie reinigen, weil sie verbinden, weil sie Liebe freisetzen.

Tränenflüssigkeit ist sehr salzhaltig. Wir sind das Salz der Welt, und manchmal sind Tränen das Salz der Seele, Perlen aus Wasser, wertvoll und gut.

Tränen lösen sich aus Augen und ein Mädchen findet eine Schulter zum Anlehnen.

Langsame Schritte

Meine Schritte sind langsam. Ich gehe furchtbar gern langsam. Allerdings nur, wenn es schön ist. In Orten und Städten voller Menschen und künstlicher Strukturen gehe ich schnell, aber hier gehe ich langsam.

Um mich herum ist Gras. Ich kann mit meinen Fingern hindurch streichen, ohne mich zu bücken, so hoch ist es. Da sind Blumen und Kräuter und Disteln, und dann ist da noch der Himmel. Und da bin ich, und ich fühle mich, als wäre ich ein junges Tier, ein Fuchs oder ein Fohlen oder ein Reh und noch etwas ganz anderes. Ich bin frei und jung und stark und wild und verspielt und hier und jetzt und glücklich und ach – ich bin Teil von dem allem hier, kein Fremdkörper in der Natur. Ich fühle mich, als wäre ich nach Hause gekommen. Meine Lunge ist voll mit frischer Luft, und es riecht nach Ruhe und nach kleinen Geheimnissen. Es riecht nach Streunen. In bin so herrlich unbeobachtet. Keiner weiß, dass ich hier bin. Keiner sieht, was ich tue, und mein Gehirn ist befreit von Gedanken über mein Auftreten und dem Ich in den Augen anderer.

Ich renne in bisschen, und dann gehe ich wieder ganz langsam. Ich bleibe stehen, um mir eine Blume anzusehen, und wähle meinen Weg nach der Höhe der Gräser. Schließlich komme ich am Waldrand an. Da steht er, mein Hochsitz. Alt und halb kaputt, wenige Meter hinter der Wiese, mit einem wundervollen Ausblick. Ich steige über den umgekippten Stacheldrahtzaun, bahne mir meinen Weg durch Brenneseln und Gestrüpp und kletter die rostige Leiter hoch. Ich klappe das eine Brett um, das noch von der Bodenklappe übrig geblieben ist, und setze mich darauf. Atme durch.

Und dann muss ich weinen. Auf einmal kommen Tränen hoch, immer mehr und immer mehr. Weil ich diese Welt manchmal nicht ertragen kann. Weil sie zu schwer für mich ist. Ich kann gar nicht mehr aufhören, und dabei weiß ich gar nicht so wirklich, was jetzt gerade so schlimm ist. Der Wind streicht durch meine Haare und macht sie durcheinander. Alles in mir tut weh. Ich kann nicht mehr. Auf einmal hab ich vergessen, wo mein Platz ist. Ich fühle mich eingesperrt. Man, ich bin doch wild! Ich will doch raus, ich brauch mehr Zeit, was soll denn das. Ich finde die Wunden nicht, die so wehtun. Ich verstehe mich nicht. Woher kommt das auf einmal? Kann nicht mehr, kann einfach nicht mehr.

Irgendwann, und ich weiß nicht, wie lange es gedauert hat, habe ich mich wieder beruhigt. Ich trockne mein Gesicht ab und warte, bis mein Atem nicht mehr so zittrig ist. Dann mache ich mich wieder auf den Weg zurück – was bleibt mir auch anderes übrig? Ein Fuß vor den anderen. Meine Schritte sind langsam.

Berührt

(Ein wunderbarer Gastartikel von meiner wunderbaren besten Freundin Smilla.)

Es ist schon etwas länger her, da hat sich meine beste Freundin Sina taufen lassen. Mir ging es an dem Tag nicht besonders gut, was ich immer noch bedauere, weil ich diesen tollen Tag gerne mehr genossen hätte!

Sinas Familie hat mich im Auto zu Hause abgeholt und in die Stadt mitgenommen. Vom Parkplatz bin ich ihnen ehrlich gesagt recht zweifelnd hinterhergelaufen. Meine andere beste Freundin Annika kannte die Kirche schon und hat dann mehr oder weniger aufgeregt auf mich eingeredet. Dass ich mich in der „Lounge“ auch auf eine Couch legen könnte, wenn es mir nicht gut ginge. Dass das ja gar kein Problem wäre. Ob nach der Autofahrt alles gut wäre. Ich hab gesagt, dass das schon irgendwie geht, obwohl mein Magen von der 15-minütigen Fahrt noch rebelliert hat. Dann sind wir in der Innenstadt und wir gehen durch einen dunklen Schmuddelgang, durch den ich abends nicht alleine gehen würde. Ein paar Meter weiter strahlt grünes Licht durch eine Tür. „Irgendein komischer Laden“, denk ich, aber dann steuert Annika genau auf die Tür zu. „Uups, Kirche und grünes Licht?! Wohl doch etwas anders.“ Die beiden, also Sina und Annika, hatten mir vorher schon etwa 100-Mal gesagt, Smilla, die Kirche ist nicht so. Die Leute sind anders drauf! Gut, dann ist das halt nicht so mit harten Kirchenbänken und ewig langen einschläfernden Reden, bei denen man an bestimmten Stellen im Chor irgendwas antworten muss. Okay, weiter gings eine Treppe hoch mit einem beleuchteten Pfeil als Deko. Der Raum dahinter sieht mit blauem Licht, einer Bar, zwei Couchecken und einem hohen Tisch mit Barhockern eher nach Kneipe aus. Ich glaub in dem Moment ging bei mir innerlich nur noch die Kinnlade runter. Ohhh, was ist das? Dann irgendwann geht’s in den eigentlichen Raum für den Gottesdienst. Roter Flauscheteppich, eine Spiegelsäule mit Lichterkette drumherum in der Mitte, gepolsterte Stühle, und in einer großen Nische rechts hinter der Tür eine kleine Bühne mit bunten Scheinwerfern an Stahlträgern. Wie das eben auf Konzerten sonst so ist. Insgesamt glichen die Räumlichkeiten also eher einem Pub, als einer Kirche.

Dann ging der Gottesdienst los. Okay, das war dann doch eher das, was von einer Kirche erwartet hätte. Von Ehen mit Gott, und Bünden, die man eingeht. Aber mit modernen Flachbildschirmen, die an der Decke angebracht sind und auf denen Videos abgespielt werden oder Texte eingeblendet werden. Außerdem war es nicht so trocken und langatmig, sodass auch ich als Nicht-Christin nicht dasaß und auf das Ende gehofft habe. Zwischendurch war mir dann schlecht und ich bin mit Annika in die Lounge gegangen. Danach hab ich mich dann auf den Flauscheteppich gelegt und weiter zugehört. Und dann hat die Band auf der Bühne einen Song gespielt. Einen ROCKsong – in der Kirche. Sowas hätte ich mir vorher nie träumen lassen. Und dieser Song, …. Die Leute sind so darin aufgegangen, haben aus so tiefer Überzeugung Text mitgesungen und sie haben diesen Kirchenraum geROCKT. In diesem Moment ist mir klar geworden, dass diese Menschen mit ihrem gesamten Herzen und voller Hingabe bei dieser Sache sind. Alles dafür geben und einfach begeistert sind davon. Von ihrem Christentum. Ich muss einfach zugeben, ich hab geheult, weil ich so berührt war.

Das fand ich sehr bewundernswert und es hat mich einfach berührt, weil ich so selten etwas mit ganzer Energie und meinem ganzen Herzen mache. Jedes Mal, wenn ich das Lied höre, denke ich daran, wie sich diese Menschen hingeben.

Danach ging es dann zur eigentlichen Taufe an den See mit anschließendem Grillen. Sina wurde von ihrer Patentante getauft und dann gab es Ham-ham. Ich hab nach mehreren Aufforderungen ein sehr leckeres Bratwürsten gegessen. Und dann kam meine Mama, um mich abzuholen. Ich musste dann schon früher weg, weil Mama sich sowieso schon Sorgen gemacht hat und so… Mein Magen hat dann wohl die Autofahrt mit Würstchen nicht überstanden, jedenfalls war die Wurst hinterher wieder draußen. Irgendwie tut mir das immer noch leid…