heimlich

Wenn ich nachts am Küchentisch ein Buch lese, mache ich mir einen Teelöffel Honig mehr in den Tee – sieht ja keiner.

Guter Tee, viele Straßenkatzen und der Lausbub-Lehrer 2.0

Auch wenn eine Erkältung mit starken Halsschmerzen ansonsten ziemlich ätzend ist, genieße ich die Gelegenheit, meinen weichen, hellgrünen Lieblingsschal zu tragen. In ihn eingekuschelt gieße ich mir Tee aus meiner Thermoskanne ein. Ah, das tut gut. Danke, Mama, dass du den heute Morgen noch gemacht hast.

„Prost!“, ertönt es aus Richtung Tafel. Ich schaue hinter meiner Tasse (bzw. meinem Thermoskannendeckel) hervor. Mein Mathelehrer. Er will mir offensichtlich ins Gedächnis rufen, dass man in Fachräumen nicht essen und trinken darf.

„Danke“, antworte ich und nehme noch einen Schluck. Und noch einen.

Mein Mathelehrer hat mich fixiert. Noch ein Schlückchen. Ah, wie lecker dieser Tee ist. Schwarzer Tee mit viel Honig und ein wenig Orangensaft. Müsst ihr auch mal machen. Voll gut.

„Haben Sie den Wink nicht verstanden?“ Der Mathelehrer grinst in sich hinein. Woran der schon wieder so viel Spaß hat, versteht außer ihm wohl keiner. Ich nippe wieder an der Tasse.

„Man darf in Fachräumen nicht essen und trinken“, antworte ich vorbildlich, mummel mich weiter in meinen Schal hinein und gönne mir noch ein wenig Tee.

Mein Mathelehrer scheint das sehr interessant zu finden, denn sein Blick ruht noch immer auf mir. Er zieht eine Augenbraue hoch. Ich schwanke bei meiner Interpretation dieses Gesichtsausdruckes zwischen spöttisch, amüsiert und leicht ärgerlich. Wie war noch dieses eine Wort, mit dem man sein typisches Grinsen so gut beschreiben kann? Ach ja, süffisant. Duden definiert das so: „ein Gefühl von [geistiger] Überlegenheit genüsslich zur Schau tragend, selbstgefällig, spöttisch-überheblich“. Das trifft seinen jetzigen Gesichtsausdruck auch gar nicht so schlecht, finde ich. Darauf ein Schluck Tee, würde ich sagen.

Nach einigen weiteren Sekunden komme ich zu dem Schluss, dass es vielleicht doch ganz klug wäre, auf seinen Gesichtsausdruck irgendetwas zu antworten.

„Ich habe Halsschmerzen“, sage ich entschuldigend und gleichgültig zugleich.

Ein Lausbub-Kichern entweicht ihm. „Tolle Ausrede“, spottet er.

„Danke“, antworte ich. Ironie wird überbewertet. Und Regeln auch.

Mein Mathelehrer sieht mich noch eine Sekunde lang an. Dann wendet er sich wieder der Population von Straßenkatzen in einem Hamburger Stadtviertel zu, angegeben in einer fünf-dimensionalen Matrix. Ich interpretiere das als Erlaubnis, weiterzutrinken, und schenke mir nach.

Irgendwann gelangen wir zu der Frage, wie rum man die Populationsmatrix und die Kastrationsmatrix zur Wachstumsbegrenzung verknüpfen muss, um die neue Populationsmatrix Q herauszubekommen. Alle sind sich einig: Erst Populationsmatrix, dann Kastrationsmatrix. Nö.

„Das macht keinen Sinn. Bei einer nicht vorhandenen Population kann man nichts kastrieren. Und weil wir von rechts nach links rechnen, kommt erst die Kastrationsmatrix und dann die Populationsmatrix. Das sieht man auch schon am Ergebnis. Bei eurer Theorie würde die Geburtenrate im Ergebnis genau gleich sein wie zu Beginn, und das ist schon vom Sachkontext her Quatsch.“

Diskussion darüber, warum das nicht stimmen kann. Ich lehne mich zurück und warte. Ich bin mir sicher, dass ich Recht habe. Boah, dieser Tee, ne. Ich kann nicht aufhören zu trinken.

Drei Minuten später schaut mein Mathelehrer wieder zu mir. „So langsam kommen mir Zweifel. Ich glaube, an dem, was Sina gesagt hat, ist doch was dran.“

„Natürlich ist es das“, kommentiere ich trocken. Der Kurs kichert.

Der Blick in die Lösungen bestätigt meine Theorie. Mathematisch schwierig herzuleiten, aber der Sachkontext machts. Der Mathelehrer ist relativ beeindruckt.

„Sina, ich muss schon sagen: Sehr gut argumentiert.“

Ich neige meinen Kopf leicht, um anzudeuten, dass ich das Kompliment annehme. Sympathie erfolgreich wieder hergestellt. Darauf nen Tässchen Tee. Zum Wohl.

Am Ende der Mathestunde ist der Tee alle. Betrübt schüttel ich die Kanne, aber da ist wohl nichts mehr zu machen. Beim Klingeln beschließe ich, dass ich unter diesen Umständen unmöglich noch arbeiten kann und gehe nach Hause.

Endgegner

Ha! Ein kuscheliger, warmer (aber nicht zu warmer) Schal gegen die Killer-Halsschmerzen des Todes als Frontalangriff von Außen! Ein köstlicher Tee aus frisch gepresstem Nektarinensaft, schwarzem Tee und Honig schmuggelt sich hintenrum ins Lager! Und an dritter Front werden meine Füße mit zwei Einheiten Spezial-Kuschelsocken konfrontiert!

Na, Erkältung, bin ich dir ein würdiger Endgegner?

Nehmt euch ein Beispiel, Herren der Schöpfung!

Auf einer Freizeit. Ich sitze mit drei Jungs am Tisch und mein Tee ist alle.
„Ihr seid doch alle tolle Jungs, ne?“
Abwartendes Nicken.
„Wer holt mir Tee?“
„Klar, mach ich.“

Abends sitzen wir in einer kleinen Runde zusammen.
„Oh man, ich habe gestern mein ganzes Bargeld gespendet, weil mich das Thema so mitgenommen hat, und jetzt kann ich mir nicht mal mehr ne Cola kaufen. Naja, die Kinder haben es nötiger als ich.“
„Darf ich dir was ausgeben?“

Heute werde ich nach Hause gefahren.
„Warte, ich trage dir deinen Koffer hoch.“
„Echt?“
„Ja klar.“

Hach, wie ist es schön, ein Mädchen zu sein.