Ein Mädchen der Nacht

Geschrieben als Mädchen, wiedergefunden als Frau

Das Mädchen, das in jener Nacht im Gras lag und in den Anblick der Sterne versunken war, hatte überhaupt keine Angst vor der Dunkelheit. Nein, vielmehr verstand es sie als Freund, als Schutz, denn nun war es ungesehen. Es hatte ein gutes Gehör, sodass es wusste, was um es herum geschah, ohne es sehen zu müssen. Das Mädchen lag dort so selbstverständlich, wie ein Baum im Wald steht oder eine Oma Socken strickt. Es war einfach so. Das Mädchen lag dort und betrachtete Sterne.

Etwas in ihm löste sich in dieser Nacht schmerzhaft auf. Ich weiß nicht, was es war. Das Mädchen wurde danach nie wieder gesehen. Seine roten Haare und seinen Namen trug von nun an eine Frau, ihm wie aus dem Gesicht geschnitten, ihm von dem Charakter und der Persönlichkeit gleichend wie eine Schwester, doch unmöglich es, denn es war ein Mädchen und sie eine Frau.

Es war ein Mädchen der Nacht gewesen und die Dunkelheit sein Freund – ein Märchen der Vergangenheit.

Westler im Bus

„Guckt mal. Westler.“

sagt irgendeine von uns dreien, als wir die Busstation betreten.
„Touristen“, diagnostiziert eine andere routiniert.
Die kleine Reisegruppe sieht verwirrt aus und nicht wirklich, als wüssten sie, was sie tun.
„Sollen wir denen mal erklären, wie man Bus fährt?“, frage ich amüsiert-gleichgültig.
„Nee, erst mal schauen, ob sie alleine zurecht kommen.“ Wir grinsen.

Vorhin erst haben wir zwei westlichen Backpackern beim Fähre fahren geholfen: Zur Insel hin zahlt man, zurück nicht. Am Schalter zahlt man nicht und wechselt auch keine Währungen, sondern wechselt nur Scheine zu alten Münzen. Nein, mit Dollar meinen sie nicht euer amerikanisches Geld, sondern malaysische Ringgit. Die Automaten nehmen nicht alle, sondern nur alte Münzen. Nein, man bekommt kein Ticket, sondern geht dann einfach durch. Ist doch alles völlig selbsterklärend. Wo ist denn das Problem?

Die verwirrte Reisetruppe hat es kurz darauf allerdings tatsächlich alleine in den Bus geschafft und wirkt wie erwartet völlig fehl am Platz. Dem Akzent nach zu urteilen Amerikaner. Wir genießen es, deutsch zu sein: Uns versteht keiner, wenn wir lästern.

„Wie sehr die einfach auffallen.“
„Echt. Aber Westler fallen immer auf.“
„Viel zu groß.“
„Und zu lange Nasen.“
„Guckt mal, die sind fast alle blond.“
„Der da trägt bestimmt auch nur Hollister, um cool zu sein.“
„Und Nikes. Wetten, die sind auch noch echt?“
„In so kurzen Sachen würde auch kein Einheimischer rumlaufen. Typisch Touristen.“

Pause.

„Fallen wir eigentlich auch so auf?“
Wir gucken uns nachdenklich im Bus um und schauen uns die Touristen und Einheimischen an.
„Nee, wir ziehen uns nicht so an wie Touristen.“
„Außerdem ist keine von uns blond.“
‚Aber Sinas Haare sind rot‘, denken alle und keiner sagts. Es würde die Argumentation kaputt machen.

Erneute Pause.

„Ich glaub, für die Einheimischen sehen wir genauso aus wie die Touristen“, spricht dann endlich wer die Wahrheit aus.
„Wahrscheinlich.“ Wir grinsen und eine von uns zieht ihr Tuch fester um den Hals.

Kein Einheimischer würde sich bei den gefühlten 12 Grad im Bus ein Tuch umlegen. Sowas machen nur die komischen Westler, die mit den Klimaanlagen nicht zurecht kommen.
Die Touristen haben keine Tücher. Sie haben keine eingepackt, weil sie dachten: Malaysia ist heiß, da braucht man sowas nicht. Sie erkälten sich. Wir wissen es besser.

Wir verpassen unsere Bushaltestelle, weil zwar alles unterschiedlich, für uns aber völlig gleich aussieht und keiner aufgepasst hat. Kichernd stolpern wir eine Haltestelle zu spät neben einem Stand mit Soja-Shakes aus Plastiktüten auf die Straße.

Die Einheimischen schauen uns aus dem Fenster hinterher.