Aus dem Archiv.
Gerade habe ich einen Film gesehen. So einen Romeo-und-Julia-Film. Nicht in der Hinsicht, dass die Liebe vergöttert wird, sondern in dem Sinne, dass sich zwei verfeindete Familien über den Tod des einen Kindes versöhnen.
Billige Versöhnung. Immer ist es so. Einen Film lang wird die Verfeindung, die Verbitterung, die Unvergebenheit, das Unverständnis aufgezeigt, wie tief es geht, wie weit es reicht. Und dann gibt es einen emotionalen Moment fünf Minuten vor Schluss, indem sich alle versöhnen. Zeitsprung: Die glückliche Zukunft.
Ich glaube an Versöhnung. Ich habe Versöhnung selbst erlebt. Ich habe Verbitterung und Unvergebenheit erlebt und mit mir herum getragen und ich bin durch all diese Phasen gegangen, die es braucht bis zur echten Versöhnung. Es ist ein weiter Weg. Er ist anstrengend. Er ist nicht nur schön.
In der Bitterkeit liegt eine Härte, die eine kurzfristige Kraft birgt. Aus dieser kurzfristigen Kraft heraus beginnt man zu handeln, es entstehen Muster. Die Härte wird Teil eines Systems. Die meisten Menschen lernen, darin zu leben. Auch wenn sie innerlich zerbrechen: Die Härte bleibt aufrecht, das System läuft weiter. Wenn so eine Maschiene erst einmal in Gang gesetzt worden ist, ist sie schwer zu stoppen.
Versöhnung zerstört das. Auf einmal steht man still. Aber die Zeit geht weiter, und irgendwie muss man weitermachen. Man muss alles neu lernen, denn es gibt einfach kein System mehr, das funktionieren könnte.
Außerdem muss noch so viel aufgeräumt werden. Auch wenn man sich ganz grundsätzlich vergeben und versöhnt hat, so gibt es doch noch Verletzungen, die nicht angeguckt wurden, noch nicht geheilt sind, wo immer noch Bitterkeit ist. Manchmal stehen Menschen voreinander, ehrlich an Versöhnung interessiert, aber die Fremdwahrnehmung passt nicht zur Eigenwahrnehmung, man sagt etwas mit der Intention des Friedens und es wird als Angriff aufgefasst, man fällt zurück in die alten Antworten. Durch all das muss hindurch gegangen werden. Versöhnung ist ein langer, anstrengender Weg.
Er ist es wert. Hier stehe ich und bin so viel reicher durch all das, was ich gewonnen habe, weil ich durch diese Momente gegangen bin.
Doch anders ist es. Anders als die billige Versöhnung eines emotionalen Momentes. Diese reicht nicht weit. Es ist eine ganze, tragfähige, sendende Versöhnung. Das ist die Versöhnung, die ich wählen will – immer wieder.