Heimweggedanken

Alles ist gut. Es tut mir leid.

Menschen.

Ich bin überfordert. Ich gehe mitten in der Nacht eine große, leere Straße entlang und bin überfordert. Warum? Menschen. Ich bin überfordert wegen Menschen und froh, gerade alleine zu sein. (Obwohl man als Frau vielleicht nicht froh sein sollte, alleine zu sein, wenn man mitten in der Nacht große Straßen entlang läuft.)

Ich rede mit mir selbst: „Ich will das nicht ich will das nicht ich will das nicht. Es tut mir leid.“

So vieles will ich nicht. Nicht ständig gefragt werden um meine Zeit und meine Kraft, um mein offenes Ohr und meine helfenden Hände und mein Herzblut. Ich will das mal bei mir behalten statt es überall zu verteilen. Ihr kommt mir zu nahe, denke ich. Viel zu nahe. Vielleicht kann ich es einfach nicht geben, was ihr wollt, weil ich es nicht hab: Nicht die Verbindlichkeit. Nicht die Kraft. Nicht die Antwort. Mein offenes Ohr ist zugelagert mit Lärm und Staub.

Aber mich bitte nicht alleine lassen. Dableiben. Bei mir. Es tut mir leid.

Ich glaube, es tut mir deswegen so leid, weil ich Menschen wie mich früher nie verstanden habe und mich von ihnen abgelehnt und allein gelassen gefühlt habe. Ich habe gedacht: ‚Warum schreibt sie nicht? Warum will sie nicht dabei sein? Warum drückt sie sich um die Zusagen herum? Warum übernimmt sie nicht auch eine Aufgabe? Warum ist sie nicht auch Feuer und Flamme für diese Pläne und Ideen?

Sie muss mich wohl nicht so mögen. Steht wohl nicht dahinter.‘

‚Es tut mir so leid, dass ich nicht bin, wen du brauchst‘, denke ich und schaue meinem imaginären, gesichtslosen Gegenüber in die Augen. Irgendwie würde ich so furchtbar gerne alle Erwartungen erfüllen. Auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite breche ich aus, wenn mir jemand zu nahe kommt. Fight or flight. Leicht wärs, wenn Menschen nur von mir wollen würden, was ich auch will.

Aber alles ist gut. Ich bin müde vom Nein-sagen, müde vom Grenzen setzen, müde vom Überlegen, warum mir die einen Menschen zu nahe kommen und die anderen so weit weg bleiben. Alles ist gut. Ich weiß ja, was ich will. Und ich sage ’nein‘, wenn ich muss. Es ist nur so anstrengend.

Ich habe das Gefühl, dass ich mich selbst enttäusche. Mein imaginäres altes Ich, das Menschen, wie ich heute einer bin, gesehen hat, ihre Hilfe brauchte und abgewiesen wurde. Aber ich habs trotzdem geschafft. Und ihr, Menschen, werdet es trotzdem schaffen.

Ich biege von der großen, leeren, nächtlichen Straße ab in unsere Einfahrt und gehe ins Bett.

Warum ich nicht ich selbst sein will

Und warum das auch gut so ist.

Junge Menschen werden derzeit mit der Erwartung überfordert, sie selbst zu sein. „Be yourself!“, schreit es aus allen Enden der Medien. Alle sagen sie: Lass dich nicht verbiegen, sei einfach du selbst, versteck dich nicht! Be yourself cause #YOLO, u know?

Okay, denke ich. Ich versuchs.

Hier stehe ich also nun und versuche, ich selbst zu sein. Womit fange ich an? Wer ist „ich selbst“? Was würde „ich selbst“ jetzt machen? Ich weiß es nicht. Es überfordert mich.

„Ganz so, wie es dir am Besten gefällt“, sagen tausend Möglichkeiten einer globalisierten, emanzipierten, kapitalistischen Gesellschaft. Ja!, denke ich. Ich will alles, wie es mir gefällt. Das klingt gut! Das Problem ist nur, dass ich nicht weiß, was mir eigentlich gefällt. Ich würde machen, was ich will, wenn ich wüsste, was das ist. Ich kenne „ich selbst“ ja nicht mal. Ich muss ja erst noch „ich selbst“ werden, ich bin es ja offenbar noch gar nicht. Woher soll ich wissen, was „ich selbst“ will? „Lebe deine Träume!“, doch wovon träumt „ich selbst“ eigentlich?

Meine Generation – wir sind nicht feige. Wir sind nicht mutlos. Wir brauchen keinen, der uns noch einmal mehr sagt, dass wir alles sein und machen können, was wir wollen. Alles.

„Be yourself!“, das sagt uns nichts mehr. Es ist unmöglich. Wir kenne yourself nicht. Wir sind eine Generation, die nicht mehr weiß, wer sie sind und was sie wollen. Seine Träume leben – früher war das einfach. Da musste man sich zwar gegen die Gesellschaft durchsetzten, wurde von seinen Eltern ausgestoßen und ist mittellos auf der Straße gestorben, weil es nicht hingehauen hat, aber wenigstens kannte man das Ziel. Wir können unsere Träume nicht mehr leben, denn wir haben keine. Wir rebellieren gegen nichts, denn wir sind ja nichts – gegen was von unserer inneren Leere sollte irgendwas widersprechen? „Be yourself!“ Ja nee. Ich will nicht „ich selbst“ sein. Ich will einfach sein. Ohne „Ich selbst“. Geht das auch?

Ich will nur sein, ohne das Ziel, dass das mir ganz entsprechen soll, ganz „ich selbst“ sein soll. Ich will tun, wofür ich mich gerade entscheide, ohne den Anspruch, dass mir das gerade am Besten von allem gefallen muss. Ich will einfach den Weg gehen, den ich dann eben gehe, ohne dass es mein gelebter Traum sein muss. Ich werde meine Gründe haben für jede Entscheidung. Keine meiner Entscheidungen ist perfekt, keine grausam. Es sind einfach nur meine Entscheidungen, die mich auf meinem Weg weiterbringen, weil sie nach vorne zeigen. Ob es jetzt „ich selbst“ ist, die den Weg geht, und ob das das ist, was „ich selbst“ am besten gefällt, und ob „ich selbst“ damit seine Träume lebt, das weiß ich nicht. Und langsam frage ich mich, ob es dieses erstrebenswerte, träumende, entschiedene „ich selbst“ überhaupt gibt. Vielleicht gibts auch einfach nur mich. Vielleicht ist das auch gut so. Und vielleicht tue ich das, was mir am Besten gefällt, indem ich mir das nicht weiter anhöre.

„Be yourself!“ Danke. Bin ich schon, siehst du doch. Wer sonst antwortet dir gerade?

Chirp chirp

Chirp chirp.

A bird. Coming out of this small world called egg. Coming out to be someone different. Coming out to fly, fly, and be seen.

A heart. Coming out of this small depressing world called perfection, called expectation. Coming out to be someone different, to be who it actually was meant to be. Coming out to fly, fly, and be seen.

Here I am, that’s me.

A bird rising towards the sky, a girl realising who she is.

Chirp chirp.

Bis du Bilder malst.

Du bist so vorsichtig, Süße. Ich sehe das an der Art, wie du im Unterricht auf deinem Collegeblock zeichnest. Oder wie du mit Leuten sprichst. Du willst keine Fehler machen. Am allerliebsten hättest du keinen gegen dich.

Und dann, manchmal, pikst dich irgendwo etwas, innen drin, und du fängst an zu diskutieren, stellst Fragen, kritisierst, und meist zu Recht.

Und dann – ist es wieder vorbei, und du bist wieder vorsichtig. Ziehst den Kopf ein und willst es nicht. Die Erwartungen deiner Eltern und von dir selbst – du willst zuverlässig sein, immer da, pflichtbewusst, das Beste geben für alle.

Wenn ich eine Feder hätte, mit der das ginge, würde ich dein Inneres kitzeln, bis du explodierst. Bis du ihnen allen die Meinung sagst. Bis du dein Verantwortungsgefühl und deine Perfektion nicht mehr auf die Erwartungen anderer richtest. Bis du mutig und furchtlos ein paar fette Fehler machst, dein Kinn hebst und die Welt angrinst. Bis du diese heiße, peinliche Scham feuerst und sie gnadenlos auf die Straße setzt. Bis du lachst, laut und offen und trotzig, weil du das gar nicht bist, zu was sie dich machen wollen.

Bis du beginnst, mehr du zu werden, wie du auch sein kannst, vielleicht wirklich bist, und Bilder malst, die du nicht kannst, weil dus kannst.

Die Sina wächst nicht schneller, wenn man an ihr zieht.

Ach, wisst ihr was?

Ihr könnt mich alle mal mit eurem Erwachsenen-Scheiß und euren Erwartungen.

Ich spreche zu euch und noch viel mehr zu mir selbst.

Ich bin 16, verdammt noch mal, 16. Das ist doppelt so alt wie 8 und halb so alt wie 32. Die 18 ist noch weit weg. Ich bin jugendlich, zwischen Kind und erwachsen und davon frei. Ich will das zelebrieren, feiern, genießen.

Ich werde nicht vernünftig sein, denn das ist doch auch nur ein Synonym für „unschädlich“. Ich werde meine Fehler zelebrieren, denn sie sind Teil meines Wachstums und Zeichen meines Mutes. Ich werde mich nicht in eure Absicherungsstrategien und Zukunftsplanereien verstricken lassen, denn das hab ich nicht nötig.

Auch wenn ihr noch so sehr meine Reife lobt, macht mich das doch keinen Tag älter als ich bin. Ich bleibe 16, denn sowohl das Gras als auch die Sina wächst nicht schneller, wenn man daran zieht. Ich passe mit meiner Mischung aus Reife und Jugend, aus Weisheit und Leichtsinn nicht in euer Schema – na und?

Mich gibts nur so, wie ich jetzt bin, Pech gehabt!
Mich gibts nur mit 16 Jahren, leichtsinnig und wild, mit Fehlern und Fehlern und stur, unvernünftig und frei. Und vollkommen richtig so. Hier bin ich, und ich tanze euch auf der Nase herum.

Es macht keinen Sinn, das nicht zu akzeptieren. Ihr braucht mich nicht wie eine ältere Person behandeln. Ihr werdet mich nicht dazu kriegen, so zu denken wie ihr. Ihr könnt mich nicht verändern.

Es ist nicht einmal das Ziel, erwachsen zu werden.

Ich streife die Ketten eurer Erwartungen und meines Selbstbildes ab und bin frei.
Ich habe die Macht, gnädig mit mir zu sein.
Ich habe den Mut, jung und wild zu sein.
Ich habe das Recht, die bedrückenden Lasten der Verantwortung zurückzuweisen und nur zu tragen, was mich nicht beschwert.

Ob es gefällt oder nicht, ob verstanden oder nicht.

Hier bin ich – guten Tag.