Wenn mit „teacher!“ ich gemeint bin

„Teacher, teacher, here!“
Ich gehe hinüber zu dem Jungen.
„Teacher, I write this line, and when I finish next line – okay?“
Aufmerksamkeit. Gesehen werden. Das braucht er nach all dem Schmerz der Flucht, des neuen Landes.
Ich lache. „Yes, okay!“

„Teacher, teacher. I can write beautiful. I can also write fast. Now I write fast. When teacher not like I rubb. Then write beautiful, okay?“ – „Yes, yes, okay.“ Niemand mit einer Handschrift wie meiner kann von einem Kind erwarten, eine Seite neu zu schreiben, weil sie nicht schön genug aussieht.

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Ein Holzverschlag mit Wellblechdach, kein fließend Wasser, Hühner. Willkommen bei eben diesem Jungen zu Hause. Die Mama hat Früchte und Sojamilch gekauft – Geld, das sie auch hätte brauchen können, um die Mägen ihrer Kinder zu füllen. Der Junge erzählt mir ein bisschen aus seiner Vergangenheit und wie sehr er sich um die Zukunft Sorgen macht – berechtigte Sorgen. Ein Ausweg aus seiner Situation ist kaum in Sicht. Traurige, niedergeschlagene Augen, und ich bekomme eine Ahnung davon, dass da eine Last, ein Schmerz ist, dessen Ausmaß ich nicht verstehen kann. Ich schäme mich ein bisschen dafür, dass ich jetzt doch die naive, reiche Weltverbesser-Weiße bin, die ich nie sein wollte. Er zeigt mir seinen Affen. Der Affe heißt Michael und beißt nur ihn nicht. Zum Abschied verspricht er mir, weiter zur Schule zu kommen. Ob er dadurch wirklich ein Chance für seine Zukunft bekommt, steht in den Sternen, aber es ist momentan wohl der einzige Ansatz.

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Ich bin wütend. Nicht, weil die Welt so ungerecht ist – den Jungen zu besuchen hat mich eher weich als wütend gemacht. Ich bin wütend, weil vor mir zwanzig Zweitklässler sitzen, die absolut nicht gehorchen wollen, und von denen anscheinend zwei Drittel kein Englisch kann – und dabei sollten sie das inzwischen. Ich bin wütend auf die Lehrerin der ersten Klasse, weil sie den Kindern weder Regeln noch Englisch beibringt, und auf die Kinder, weil sie sich keine Mühe geben.

Ich will nicht wütend sein. Ich will Wege finden. Eben erst habe ich doch das Zuhause gesehen – die Not. Es ist nicht der Fehler der Kinder. Und doch könnte ich mit ihnen gerade den Raum tapezieren. Augen zur Uhr, zur Tafel, zurück zu den Kindern. Und weiter.

Kontraste.

„Teacher, I go toilet. I finish and then I go toilet. Okay, teacher?“

Ja, Kleiner. Okay.

Reflexionen

Oder: Vom Wissen um den Schmerz

Hätte ich das alles schon vorher gewusst, dann wäre ich nie gegangen.

Hätte ich all die Tränen, den Schmerz, die Anstrengung vorher schon gekannt, schon gewusst, was „Heimweh“, „Kulturschock“ und „Überforderung“ wirklich bedeuten, dann wäre ich einfach zu Hause geblieben. Dann hätte ich mir das alles nicht angetan. Ich hätte mir einfach ein normales Leben in Deutschland ausgedacht und das mal gemacht. Ich würde jetzt deutsches Brot mit Nutella essen, statt Smog einen Himmel sehen und bei Bedarf meine Freunde besuchen fahren.

Und doch: So viel Wertvolles ist schon passiert, seit ich hier bin. Momente, in denen ich festgestellt habe, dass ich mir so viel mehr zutrauen kann als ich dachte. Den Abstand nach Zuhause, der mich innerlich aufräumen und leer vor Gott kommen lässt. So viele Beobachtungen über Kultur, Menschen und mich.

Es ist ein altes, wunderbares Prinzip vom Leben: Hätte man all den Schmerz vorher schon gekannt – man weiß nicht, ob man sich aufgemacht hätte. Doch am Ende ist man so froh, durch all das hindurchgegangen zu sein.

Ich bin froh, dass ich gefahren bin. Ich bin froh, jetzt hier angekommen zu sein. Und ich bin froh, dass ich all den Schmerz der nächsten Tage und Wochen und Jahre noch nicht kenne, sodass ich voll Zuversicht weiter gehen kann.