Was ich gerne gewusst hätte, als ich special needs mom geworden bin

Vor über zwei Jahren, kurz nach seiner Geburt, hatten wir die ersten Vermutungen, dass unser Sohn anders ist als die meisten Kinder. Dass er – im wahrsten, statistischen und wertfreien Sinne* – nicht normal ist. Vor etwa eineinhalb Jahren haben wir das zum ersten Mal schriftlich bekommen. So gesehen bin ich immer noch frisch, sowohl im Mama-Business, als auch im special-needs-business. Und gleichzeitig hab ich schon so viel gelernt, dass ich damit Bücher füllen könnte. Hier die Tipps, die ich mir mit der Zeitreisenbrieftaube eineinhalb Jahre zurück schicken würde. Wenn du sie gebrauchen kannst, take them. Falls nicht – noch besser.

1. Die Trauer ist normal, gehört dazu und wird weniger werden.

    Die Trauer hat mich am Anfang sehr verwirrt. Für mich war ein behindertes Kind nie eine schlimme Vorstellung. Ich hatte davor keine Angst und ich hab mir auch nie aktiv ein gesundes Kind gewünscht. Meine Haltung war: Gewickelt wird, was auf den Tisch kommt. Warum also war ich jetzt traurig, als sich mein Kind als anders herausstellte? Andere Eltern von behinderten Kindern haben gesagt, sie betrauern ihre veraltete Vorstellung von der Zukunft, die so nicht mehr eintreffen wird. Diese Erklärung hat sich für meine Trauer nie passend angefühlt.

    So ganz habe ich diese Frage bis heute nicht geknackt. Was ich aber herausgefunden habe: Es macht mich traurig, mitanzusehen, wie hart mein Kind für fast alle Entwicklungsfortschritte arbeiten muss, während es den Kindern in der Umgebung einfach zufällt. Es macht mich traurig, zu spüren, wie isoliert ich in normalen Elterngruppen mit meinen Erfahrungen bin und wie schwierig es für mich ist, mit Eltern normaler Kinder eine gemeinsame Ebene zu finden. Es macht mich traurig, zu spüren, wie es zwischen meinem eigenen Kind und mir verbindungstechnisch nicht in dem Maße fließt, wie ich es überall um mich herum beobachte. Es macht mich traurig, all die Missstände in der Gesellschaft und im System wahrzunehmen, an denen mein Kind und ich uns für den Rest unseres Lebens abkämpfen werden. Und manchmal, da macht es tatsächlich traurig, ein gleichaltriges, fittes Kind beim Spielen zu beobachten und zu realisieren, dass mein Kind ohne seine Einschränkungen jetzt auch auf diesem Entwicklungsstand wäre und was dann alles möglich wäre, für ihn, für mich und zwischen uns.

    Aber die Trauer wird weniger, Monat für Monat, und jetzt, eineinhalb Jahre nach der Diagnose, ist sie ein Gast, der manchmal wochenlang nicht vorbeischaut. Sie wird immer weniger schwer, immer händelbarer, auch wenn sie wahrscheinlich für immer in irgendeiner Form bleibt. Stattdessen kommt immer mehr Akzeptanz und Frieden.

    2. Hoffnung raubt Kraft und Freude, gib sie auf.

    Das klingt jetzt härter als es tatsächlich ist. In der schonungslosen Akzeptanz der Einschränkungen des Kindes, der Besonderheit des Kindes, verbirgt sich Frieden und Freude. Was Kraft raubt, Freude nimmt, Enttäuschungen und unproduktives Abkämpfen vorprogrammiert, ist, die Einschränkungen immer wieder wegzuhoffen. „Vielleicht holt er ja doch noch auf.“ „Vielleicht gibt sich dieses Problem bald wieder.“ „Vielleicht müssen wir uns doch am Ende mit all diesen Dingen gar nicht auseinandersetzen.“ Diese Art zu Hoffen ist zu teuer für uns, diese Kraft haben special needs Eltern nicht zur Verfügung.

    Hoffe auf eine gute Entwicklung deines Kindes, auf Akzeptanz des Umfeldes, gute Ärzte und Therapeuten, kompetente Sachbearbeiter bei Krankenkasse und Behörden, hoffe auf vieles – aber hoffe nicht die Einschränkungen weg, sondern arbeite mit dem, was da ist, und akzeptiere es schonungslos. Das macht handlungsfähig.

    Sollten sich die Einschränkungen deines Kindes tatsächlich irgendwann verringern oder sogar ganz geben, dann wirst du es mitbekommen und kannst dich darüber freuen, auch wenn du vorher nicht darauf gehofft hast.

    3. Papierkram frontal und direkt angreifen, damit rechnet er nicht.

    Der Papierkram, der mit einem behinderten Kind einher geht, ist irre. Jeder hasst Papierkram. Er erdrückt und fühlt sich immer riesig und unmöglich an. Gerade, wenn man auf dem Weg der Elternschaft eines special-needs-Kindes noch neu ist, ist es besonders schlimm: Das Leben ist gerade sowieso irre anstrengend und dieser ganze Papierkram ist neu und unbekannt.

    Aber: Papierkram ist deutlich weniger schlimm, als er auf den ersten Blick erscheint. Wenn du dich dran setzt und eins nach dem anderen wegarbeitest, ist vieles erstaunlich schnell erledigt. Antrag auf Feststellung des Pflegegrades? Ein fünfminütiger Anruf an die Krankenkasse, 20 Minuten optionale Vorbereitung auf den Besuch, ein 90-minütiger Besuch vom medizinischen Dienst. Antrag auf Feststellung einer Behinderung? Hat eine Stunde gedauert, wobei ich die meiste Zeit davon Arztbriefe und Pflegegutachten eingescannt habe. Pflegezeit auf die Rente anrechnen lassen? Zehn Minuten Formular ausfüllen. Irgendwas ist unklar oder du hast Fragen? Wenn du die Antwort nach drei Minuten bei Google nicht rausgefunden hast, ruf die jeweilige Stelle einfach an. Sie sind gesetzlich verpflichtet, dich zu beraten, und bisher bin ich nur an freundliche, zugewandte, kompetente Mitarbeiter gekommen. Gerade beim Pflegegrad: Pflegegrad geht neben dem Pflegegeld einher mit so Zusatzleistungen wie Verhinderungspflege oder Entlastungsbeitrag. Mich hat es einfach überfordert, mich da reinzulesen. Ich habe es lange vor mir hergeschoben und die Leistungen fast verfallen lassen. Mein Tipp im Nachhinein? Lies dich nicht rein. Ruf die Pflegekasse an und lass es dir erklären. Da kannst du jede Rückfrage direkt stellen an jemanden, der sich damit wirklich auskennt, bis du es erfasst hast.

    Lass nicht zu, dass der Papierkram dir zu viel Kraft raubt. Schmeiß dich rein und kämpf dich durch. Auch darin wirst du kompetenter und es wird leichter. Papierkram händeln ist ein Skill, den du automatisch lernen wirst. Und ja, manchmal wird ein Widerspruch notwendig und das nervt, aber vieles geht auch einfach durch. Also kämpf innerlich nicht mit einem Widerspruch, der wahrscheinlich gar nicht kommt.

    4. Therapiebedarf ist dein Freund.

    Als mein Sohn essen lernen sollte, waren wir verzweifelt auf der Suche nach möglichst flachen Babylöffeln, weil er mit normalen Babylöffeln einfach nicht klar kam. Wir haben viel zu lange mit der Suche zugebracht und die Ausbeute war nur mäßig. Damals war diese Welt noch neu für mich. Ich wünschte, ich hätte da schon gewusst, dass es Hilfsmittel und Therapiebedarf für die meisten unserer Probleme gibt und ich in dieser Welt hätte suchen sollen statt im normalen Babybedarf. Im Logopädie-Fachhandel gibt es flache Löffel, sogar textuierte flache Löffel, die wir damals gebraucht hätten. Wir sind nicht die ersten, deren Kind eine Behinderung hat, und oft hat jemand anderes schon eine Lösung gefunden. Es gibt einige Onlinehandel, die Praktisches für Kinder mit (und ohne) Einschränkungen sammeln und vertreiben. Inzwischen hab ich vieles aus solchen Onlinehandeln gekauft. Aktuell hat mein Sohn ein Kaubedürfnis, für das gewöhnliche Beißringe nicht mehr ausgelegt sind. Und siehe da: Beim logopädischen Bedarf gibt es Beißteile, die genau für Kinder wie ihn gemacht sind. Ein Träumchen. Mir macht es tatsächlich auch Spaß, diese Onlinehandel für behinderte Kinder einfach mal durchzustöbern und zu gucken, was es so gibt. Manchmal findet man auch gute Ideen für Herausforderungen, die man vorher noch gar nicht richtig benennen konnte.

    Eventuell wird das ein Mehrteiler. Ich hab noch mehr Sachen, die mir aufgefallen sind, die ich mir selbst von damals sagen würde. Aber keine Versprechungen an der Front. Vielleicht reicht mir dieser Text auch erstmal. Liebe Grüße!

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    * Leute, ich bin Psychologin – das bedeutet, Statistikerin. Kommt mir nicht mit „wer sagt denn, was normal ist“ und so Zeugs. Normal ist ein statistischer Begriff. Er beschreibt die Ausprägung von Eigenschaften, die sich im Normbereich befinden. Es ist ein Wort, das benötigt wird, um das Übliche von dem Abweichenden zu unterscheiden. Der Begriff ist völlig wertfrei. Wenn du ihn als wertend empfindest, ist die spannende Frage, warum du mit Normalität oder Abweichung eine Wertung verbindest.

    behindert?

    „Und wie alt ist dein Kind?“

    Eine harmlose Frage, wenn sie von Paul kommt, der 20 Jahre alt ist und sich vor allem mit Pen&Paper auskennt. Die Frage kommt aber nicht von Paul, sondern von Kati, 35, Mutter eines einjährigen und eines dreijährigen Kindes. Das ist die Art von Personen, die eine Antwort in Monaten erwartet und mit dieser Zahl auch richtig was verbindet.

    „20 Monate“, antworte ich also wahrheitsgemäß. Wir schauen gemeinsam auf meinen Sohn. Er krabbelt unter dem Klettergerüst durch und lässt ab und zu etwas Sand durch seine Hände rieseln. Manchmal schaut er nach den anderen Kindern. Insgesamt ist er aber in seiner Welt versunken.

    Sag ich jetzt was?, frage ich mich. Kati kann kaum übersehen haben, dass mein Sohn nicht auf dem Stand eines 20-monatigen Kindes ist, denn Kati kennt sich aus. Ihr Kind, 12 Monate alt, läuft. Ich spüre förmlich ihr Unbehagen, jetzt gut mit der Situation umgehen zu wollen, aber nicht so ganz zu wissen, wie. Ignorieren? Ansprechen? Wenn ja, wie?

    „Läuft er?“, fragt sie mich.

    „Nein.“

    Spätestens das ist jetzt der Punkt, an dem ich etwas erklären sollte.

    Früher habe ich immer auf die Weise die Wahrheit gesagt, wie sie auch die Ärztinnen formulieren: Er ist entwicklungsverzögert. Wir wissen nicht, warum. Bisher waren alle Untersuchungen unauffällig. Es könnte ein Gendefekt sein. Die Ergebnisse stehen noch aus.

    Das Problem dieser Erklärung sind die Antworten.

    „Ach, der holt bestimmt noch auf. Da würde ich mir gar keine Gedanken machen. Ärzte übertreiben ja auch immer. Die legen irgendeinen Maßstab an und entscheiden dann einfach, was normal ist. Und dabei ist er noch so klein, da holen die noch alles auf! Das Kind von der Freundin meines Arbeitskollegen, das ist auch erst mit 22 Monaten gelaufen, und die Ärzte haben riesen Drama gemacht, aber jetzt ist sie schon in der 2. Klasse und alles ist normal. Jedes Kind ist eben anders! Und er ist ja ein Junge, die sind sowieso immer langsamer. Also mach dir am besten keine Sorgen. Der entwickelt sich schon in seinem Tempo. Das wichtigste ist, dass du ihn so annimmst, wie er ist.“

    Das kann ich ehrlich gesagt nicht mehr hören. Was antwortet man darauf? An dieser Antwort stört mich so viel, dass ich nicht mal wüsste, wo ich anfangen sollte. Also sage ich eine andere Variante der Wahrheit, und die sage ich jetzt auch zu Kati:

    „Wie du siehst, ist sein Entwicklungsstand nicht der eines 20-monatigen Kindes. Er hat eine Behinderung.“

    „Ach ja, hätte ich jetzt gar nicht gesehen“, sagt Kati, und meint damit, dass mein Kind nicht nach Rollstuhl oder Down-Syndrom aussieht. „Was hat er denn für eine Behinderung?“

    „Das wissen wir noch nicht.“

    Das Gespräch plätschert weiter vor sich hin. Es geht darum, wie wir von der Behinderung erfahren haben und was meinen Sohn von anderen Kindern unterscheidet. Mit neugierigen Fragen kann ich gut umgehen. Währenddessen fängt mein Sohn an, Sand zu essen. Irgendwann sagt Kati:

    „Ja krass. Dann alles Gute euch. Geht ihr eigentlich auch zum Kinderturnen?“ und dann sind andere Themen dran.

    Deswegen sagte ich „behindert“. Weil damit keiner diskutiert. Und weil die normale Spielplatzmutti bei „behindert“ mehr Fragen als ungefragte Meinung hat. Ich mag das Wort. Rein juristisch hat mein Sohn tatsächlich einen Grad der Behinderung. Warum also sollte ich dieses Wort nicht für uns nutzen?

    Nun ja, andere Mütter haben dazu andere Meinungen. Manche Eltern behinderter Kinder empfinden es furchtbar, sein eigenes Kind so zu bezeichnen, weil es als ein abfälliges Wort verwendet wird. Ganz nachvollziehen kann ich das nicht. In dem Moment, in dem ich über mein eigenes Kind liebevoll sage, dass es behindert ist, nehme ich dem Wort doch jede negative Konnotation. Mein Gegenüber, das diese negative Konnotation vielleicht empfindet, wird implizit damit konfrontiert, dass diese Konnotation vielleicht nicht angebracht ist. Wenn dann ab und an die innerliche Erkenntnis kommt: „Nee, stimmt, eine Behinderung ist erstmal etwas völlig wertfreies“, dann haben wir doch alle was gewonnen, oder nicht?

    Ich bin noch am Anfang diesen Weges. Ich probiere noch aus, welche Geschichte ich über mein Kind erzähle. Bestimmt wird es später andere Versionen geben. Vielleicht kehre ich dem Wort „behindert“ irgendwann auch den Rücken. Wer weiß.

    Vom Können und Nicht-Müssen

    Heute war ich mit Sohnemann in einer Mama-Baby-Gruppe.

    „Ich weiß, man soll ja nicht mit den Kindern an den Händen laufen lernen, aber sie will das gerne. Ich will das auch, mir macht das Spaß. Ich machs ja auch nicht so viel. Ich weiß nicht, ob das so okay ist,“ sagt eine Mutter.

    Den ganzen Morgen hatte ich schon darüber nachsinniert, wie das ist mit dem Druck, der auf den jungen Eltern lastet. Ich habe ein Kind, das fast nur lernt, was wir ihm aktiv beibringen. Jeden Tag fördern, üben wir an verschiedenen Baustellen. Ich mag es, weil es meinem Sohn gut tut und er das braucht, um sich zu entwickeln. Aber ich hasse es auch, weil ich es nicht mag, alles aktiv beibringen zu müssen. Mein Mann und ich stehen unter einem besonderen Druck, weil wir dafür verantwortlich sind, dass unser Sohn sich entwickelt – was wir ihm nicht beibringen, passiert oft nicht. Alles wird gemeinsam erarbeitet. Alles müssen wir im Blick haben. Was für vergessen, stagniert.

    Dabei lernen wir sehr viel über Kindesentwicklung. Was fördert, was bremst. Nach unseren Maßstäben machen die anderen Eltern um uns rum vieles falsch. Wir sagen dazu nichts. Warum nicht? Weil es egal ist. Kinder sind so gemacht, dass sie keine optimalen Umstände für eine tolle Entwicklung brauchen. Unsere Physiotherapeutin sagte bezogen auf die motorische Entwicklung so schön: „Die meisten Kinder sind so gemacht, dass man bei ihnen alles falsch machen kann und sie sich trotzdem richtig entwickeln.“ Ich denke mir, das hätte ich auch gern. Wie könnte ich gelassen und entspannt sein, wenn ich wüsste, dass sich mein Kind von alleine toll entwickelt und ich „einfach nur“ Mama sein muss! Und wie toll für die normal entwickelten Kinder, dass sie Mamas haben dürfen, die das leben können! Während ich versuche, neben all der Förderung und Therapie- und Arztterminen doch irgendwie die Gelassenheit und emotionale Verfügbarkeit zu leben, die ich mir für die Mama meines Kindes so wünsche…

    Und doch leben viele Mamas genau wie ich. Obwohl sie das nicht müssten. Es bricht mir das Herz für die Mamas. Ich wünschte, sie würden diese innere Last loslassen.

    Also sage ich was zu der Mama und in die Runde. Darüber, wie toll sich Kinder entwickeln, auch wenn einem Fehler unterlaufen. Dass es nicht perfekt sein muss. Dass sie es sich leisten kann, Dinge mit ihrem Kind zu machen, „die man eigentlich nicht machen soll“. Dass der Druck nicht sein muss. Wie sehr ich ihnen diese Gelassenheit wünsche, die ich selbst so gerne hätte, die bei uns aber gerade nicht drin ist. Und dass ich finde, diese ganze Energie, die Eltern fitter Kinder in „wie mache ich alles richtig?“ und „wie kann ich mein Kind noch besser fördern?“ vielleicht besser aufgehoben wäre in Fragen wie „wie gestalte ich Mamasein so, dass es mir Spaß macht?“ oder „wie sorge ich für mich selbst?“. Und hätte nicht auch jedes Kind lieber eine Mama, die gelassen und mit Freude mit ihm oder ihr durch den Tag geht, als eine Mama, die unter Druck steht, immer die richtige Aktivität mit dem Kind machen zu müssen?

    ‚Eine tolle Botschaft‘, denke ich. ‚Jetzt brauchen die anderen Mamas keine Angst mehr haben, etwas falsch zu machen, und können anfangen, zu genießen.‘

    Es geht nach hinten los.

    „Nur weil du größere Probleme hast, sind unsere nicht weniger wichtig“, sagt eine Mama. „Wenn das Sorgenkostüm so ausgeleiert ist von so großen Problemen wie bei dir, wird man halt auch zu unempfindlich für die normalen Probleme“, sagt eine andere. „Ich will halt trotzdem das Beste für mein Kind“, sagt die nächste. „Man hört das immer so, man soll sich nicht so einen Druck machen, aber das sagt sich so leicht. Wie soll ich das denn auch noch hinkriegen? Ich habe genug Baustellen“, sagt noch eine.

    Ich versuche nochmal klar zu machen, dass ich das nicht meinte, dass natürlich auch kleine Probleme es verdienen, ernst genommen zu werden, dass es mir um etwas anderes ging, um den Druck und die Gelassenheit. Es kommt nicht an. Ich fühle mich merkwürdig, als hätte ich etwas Falsches gesagt, aber ich weiß nicht, was es ist.

    Später geht es um Töpfchentraining. „Erst mit zwei Jahren ist es Kindern entwicklungstechnisch möglich, zu beeinflussen, wann sie pinkeln oder stinkern“, sagt die Kursleitung. Vorher brauche man also auch gar nicht darüber nachdenken. „Das habe ich aber anders erlebt“, sage ich. Erzähle von Gegenbeispielen, erzähle von unserem Sohn, der trotz Behinderung mit eineinhalb Jahren seinen Stinker kaum noch in die Windel und fast nur noch ins Töpfchen platziert. „Sowas erzähle ich den Eltern nicht so gerne“, sagt die Kursleitung. „Sie denken sonst, sie müssen jetzt auch schon Töpfchentraining machen, und dann entsteht noch mehr Druck.“

    Was ist mit der Welt passiert, frage ich mich. Gibt es noch ein „kann“? Ist denn für junge Mamas jedes „kann“ direkt ein „muss“? Ich weiß nicht, wie es ist, ein normales Kind zu haben. Wäre ich genauso wie diese Mamas?

    Ich wünsche mir eine Elterngruppe, in der eine Mama erzählt, dass ihr Kind mit eineinhalb erfolgreich ein Töpfchen benutzt und die anderen Mamas sagen: „Toll!“ Und dass, wenn dann die nächste Mama sagt: „Für uns ist das noch lange kein Thema“, dass auch da gesagt wird: „Toll!“ Weil es doch auch toll ist, auf seine Ressourcen zu achten, nicht alles mitmachen zu müssen, sich nicht unter Druck setzen zu lassen. Töpfchen ist in dem Alter doch ein ganz klares „kann“ und kein „muss“. Keine Mama sollte sich rechtfertigen müssen, dieses Thema zu dem Zeitpunkt noch nicht anzugehen. Keine Kursleitung sollte Falschinformationen sagen müssen, weil sie das als einzigen Weg sieht, den Mamas ein wenig Druck zu nehmen.

    Es ist so viel Druck auf Entscheidungen, die ich nach den Erfahrungen mit meinem Sohn als so unwichtig empfinde. Brei füttern oder Baby-led weaning? Wann stille ich ab? Wann soll mein Kind in seinem eigenen Zimmer schlafen? Darf ich mein Kind ablenken, nachdem es sich weh getan hat, oder lernt mein Kind dann nicht, negative Gefühle auszuhalten? „Ich will meinem Kind nicht schaden, indem ich die falsche Entscheidung treffe.“

    Laut so vielen Ratgebern und social media channels und Kursleitenden schadest du deinem Kind, wenn du die falsche Entscheidung triffst.

    Wie kommen wir nur aus diesem Druck raus?

    „Das Wichtigste für ein Kind ist eine glückliche Mama“, dieser Satz begleitet mich immer weiter.

    Gerne würde ich zu all diesen Fragen sagen: ‚Ja, lass uns darüber reden. Aber lass uns erst einmal festhalten: Eine wirklich falsche Entscheidung gibt es hier nicht. Dein Kind wird sich sehr wahrscheinlich in all den verschiedenen Varianten toll entwickeln. Du wirst ihm nicht schaden. Du machst das toll und dein Kind macht das auch toll! Okay, und jetzt lass uns darüber nachdenken, welche Variante am besten zu euch als Familie passt.‘

    Aber ich sage nichts mehr in der Mama-Baby-Gruppe. Ich bekomme es nicht vermittelt, was ich sagen will. Und vielleicht verstehe ich auch irgendetwas nicht, was hier ganz entscheidend reinspielt. Was weiß ich schon davon, wie es ist, ein normal entwickeltes Kind zu haben?

    Im Auto denke ich noch schmunzelnd über mich selbst nach: Wenn der Druck so ein riesen Thema ist, wie kam ich eigentlich darauf, den mit ein paar Worten wegwischen zu können? Das ist der Job von jahrelangem Wachstum oder Therapie.

    Wenn ich Kursleitung wäre, wie würde ich mit dem Druck „meiner“ Mamas umgehen?

    Ich fahre mit einem merkwürdigen Gefühl nach Hause. Immer noch frage ich mich, ob ich etwas Falsches gesagt habe. Das ganze Treffen war emotional sehr anstrengend. Vielleicht ist es auch mal wieder Zeit, Pause von anderen Mamas zu machen. Mich auf uns selbst zu fokussieren. Vielleicht kann ich anderen nicht die Gelassenheit bringen, sondern sie wird ein Geschenk für mich selbst: Dann, wenn wir uns mehr eingefunden haben. Wenn alles ein wenig mehr Selbstläufer und ein bisschen weniger Kraftakt geworden ist. Wenn wir auf weniger Wartelisten stehen und ein größerer Anteil der Förderung von Profis als von Mama und Papa übernommen werden kann. Vielleicht kann ich diese Perspektive der Gelassenheit, die sich in meinem Kopf formt, aber noch nicht zum Alltag passt, dann einnehmen. Und sie ist einfach nur für uns als Familie.

    Und die anderen Mamas finden ihren eigenen Weg.

    wachgeküsst

    Was war der Auslöser? Wir wissen es nicht so genau. Ich denke, es war die Physiotherapie. Meinen Sohn in einer bestimmten Position halten, auf eine bestimmte Weise Druck ausüben, drei Mal am Tag – das war die erste Übung. Eine Woche später schaut er wacher in die Welt. Seitdem ist er in Fahrt.

    Im Wochentakt kommen die Fortschritte: drehen, rundrobben, Vierfüßler, robben, rocking, Halbsitz, die ersten Löffel Brei. „Ich sehe es selten, dass ein Kind, das so viel Verzögerung in seiner Entwicklung hat, dann auf einmal so schnelle Fortschritte macht“, sagt die Physiotherapeutin. Der größte Unterschied zu vorher liegt aber in etwas ganz anderem: Er ist beziehungs- und bindungsfähig geworden. Raus aus seiner eigenen kleinen Blase kommt er jetzt und will Teil unserer Welt sein. Robbt zu mir und spielt am liebsten direkt neben meinen Füßen. Will Körperkontakt, um beruhigt zu werden. Überprüft immer wieder, ob ich hinschaue, wenn er spielt. Ist bei Fremden vorsichtig geworden und bei Mama und Papa so wie immer. Was soll ich sagen? Es nährt mein Mamaherz. Mein kleiner Sohn nimmt mich wahr als jemand, der für ihn besonders wichtig ist. Das tut so gut.

    Im Kontrast wird erst sichtbar, was vorher alles gefehlt hat. Jetzt, wo er Kontakt aufnimmt, wird uns erst bewusst, dass die ersten 10 Monate seines Lebens kaum Kontakt da war. Er war in seiner eigenen Welt: Wenn die innere Uhr gesagt hat, er ist müde, hat er einfach geschlafen, egal, wo wir waren und was um ihn herum passiert ist. Wenn er hungrig war, musste er jetzt gestillt werden und hat dann einfach getrunken. So etwas wie Ablenkung gab es für ihn kaum. Wenn er spielen wollte, hat er das getan. Neue Dinge haben bei ihm wenig Neugier geweckt. Ob ich im Zimmer war oder nicht, wer ihn hält, wickelt, stillt, hat für ihn keinen Unterschied gemacht. Eine Sirene ist losgegangen? Ein Hund fängt plötzlich an zu bellen? Keine Reaktion. Es hat für seine unmittelbare kleine Welt, seine körperlichen Bedürfnisse, keine Rolle gespielt.

    Und jetzt will er, dass ich singe, robbt ganz nah an mein Bein, wenn ich Gitarre spiele, und schaut genau hin. Wenn jetzt jemand neben uns aufgeregt was erzählt, kann er sich nicht mehr aufs Trinken konzentrieren. Er kann nicht mehr einfach schlafen, wenn wir auf einer Geburtstagsfeier sind, sondern braucht Ruhe. Jetzt will er wissen, ob er an den Pulli kommt, der da vom Stuhl herunterbaumelt, und probiert es immer wieder. Er ist frustriert, wenn das Nachbarsmädchen ihm die Rassel wegnimmt, mit der er gerade gespielt hat. Er meckert jetzt auch, wenn er keinen Bock hat oder ihm langweilig ist, und nicht nur dann, wenn ein körperliches Bedürfnis unbefriedigt ist. Aber er freut sich auch ganz anders, lacht nicht nur, sondern mich auch an. Er ist wie eine Knospe, die aufgegangen ist; wie ein See, der aufgetaut ist; es ist, als hätte ihn jemand wachgeküsst.

    Was heißt das alles jetzt? Wird er auf Dauer den Weg in die Welt der normalen, neurotypischen Kinder finden? Es sieht so aus, als könnte das tatsächlich passieren. Aber keiner kann das wirklich beantworten. Für mich ist das okay. Ich weiß jetzt: Ich bin für ihn seine Mama. Er geht seinen eigenen Weg. Aktuell reicht das.

    Liebes Kind,

    hier sind wir also. Neurologin sagt, joa, schon auffällig, aber nicht übermäßig besorgniserregend, „ich bin da optimistisch“. Physiotherapeutin sagt „da springt aber jemand gut auf die Übungen an“. Kinderarzt sagt „da wollen wir doch mal sehen, wie du dich unter Therapie so entwickelst“. Es bleibt bei dem „a little special“ – so ein bisschen neben der Spur, aber nicht völlig ab vom Weg.

    Du und ich.

    Die meiste Zeit sind es wir beide; oft noch Papa, wenn er nicht arbeitet. Die meiste Zeit machen wir es unter uns aus, was das alles heißt. Wer du bist. Wie wir dich sehen. Wie wir in dieser Wirklichkeit leben. Die meiste Zeit leben wir in unserem eigenen Normal.

    Wer du bist, Kind, und was mit dir ist, das ist meine eine Frage. Meine andere Frage ist, wer ich bin in dem allem. Wer ich bin als Mutter, als deine Mutter, und als Mutter zwischen Kinderarzt, Neurologin und Physiotherapeutin, als Mutter meines special-Kindes zwischen anderen Müttern von Kindern, die auch, anders oder nicht so special sind. Wer ich bin als Mutter zu Hause, wenn wir zu zweit sind, und sonst keiner da ist. Wer ich bin als Mutter, wenn du anders bist, als ich dachte.

    Mein liebes Kind, ich will dir einige Dinge versprechen. Nicht versprechen in dem Sinne, dass ich garantieren kann, dass ich meinem Versprechen immer zu 100% gerecht werde. Ich verspreche sie in dem Sinne, als dass ich sie als Maßstab für mich selbst setzte. Sie sollen meine Messlatte sein.

    Ich will dich betrachten als die Person, die du bist, und nicht als die, die du nach diesem oder jenem Maßstab sein solltest. Genau so, wie du bist, will ich dich annehmen und dich spüren und dir begegnen. Für mich brauchst du nicht mehr oder anders sein. Im Fokus sollst immer du selbst stehen und nicht deine Andersartigkeit. Bei mir sollst du dich so herrlich normal und gleichzeitig ganz besonders fühlen dürfen.

    Ich will immer offen dafür bleiben, dass du mich überraschst. Du veränderst dich stetig, und ich gebe mein Bestes, mitzukommen. Veraltete Annahmen über dich will ich großzügig aussortieren und für Neues immer bereit sein. Du bist eine leise Seele, vielleicht schnell übersehen, und forderst die Anpassung an deine Entwicklung kaum ein. Ich will die Augen offen halten, hinschauen, mitgehen, mich mitentwickeln. Niemals will ich dich festlegen und sagen „genau so bist und bleibst du“ oder „so etwas kannst du eben nicht“. Stattdessen will ich sagen „jetzt gerade scheint es so zu sein“ und „wer weiß, was werden kann“.

    Und ja, natürlich will ich auch die Bärenmama für dich sein. Dafür sorgen, dass du die notwendige Förderung bekommst, dass genau hingeschaut wird, dass du mit deinen Symptomen ernst genommen wirst und all solche Dinge. Dass wir deine Übungen zu Hause machen und auch Papa weiß, wie er es machen soll. Aber das ist nicht das Schwierige. Das geht automatisch, so anstrengend es auch sein mag. Was ich dir versprechen, mir vornehmen möchte, ist: Dass Ruhe einkehren darf. Nicht immer nur Kampf. Quatsch machen zusammen, den Moment genießen. Wegkommen von all den Sorgen und Ansprüchen und Förderungen. Einfach Familie sein.

    „Das Wichtigste für ein Kind ist eine glückliche Mama“, predigt meine eigene Mutter mir, seit ich ihr von dem positiven Schwangerschaftstest, deinem ersten Existenznachweis, erzählt habe. Es ist etwas sehr Wahres, Elementares dran an diesem Satz. Mit niemandem hast du so viel zu tun wie mit mir. Die Neurologin erklärte mir, dass dir bis jetzt noch nicht einmal bewusst ist, dass du und ich nicht dieselbe Person sind. Ich präge deinen gesamten Alltag und einen Großteil deiner Interaktionen. All das ist in vielerlei Hinsicht abhängig davon, wie es mir geht. Nein, ich werde mich nicht unter Druck setzen, immer gut drauf und perfekt sein zu wollen. Aber ich werde mein Wohlergehen priorisieren. Was ich will und brauche, das ist in dieser Familie wichtig. Das hat einen Platz. Immer wieder will ich fragen, wie ich alles für mich ein wenig besser gestalten kann. Wie ich für mich sorgen kann. Das mache ich für mich und das mache ich für dich, denn wenn es mir gut geht, bin ich die beste Mutter, die ich für dich sein kann.

    Irgendwie stehen wir ganz am Anfang unseres Weges, obwohl wir gleichzeitig auch schon eine ganze Wegstrecke gegangen sind. Du magst erst zwei Händevoll Monate alt sein, aber diese Monate waren zum Bersten gefüllt mit Erfahrungen. Ich bin stolz auf uns zwei. Auf dich, wie du dir deinen eigenen Weg auf deine stoische, unbeirrbare Weise erarbeitest. Und auf mich, die ich schon so viel gelernt habe in deiner kurzen Lebenszeit, über Gelassenheit und Fokus und Akzeptanz.

    Mein kleiner Tropf, ich hab dich so lieb, ich platze fast.

    In großer Mamaliebe, mit Zuversicht und aus der neu gefundenen Ruhe heraus,

    Ich – Mama

    a little special

    Das ist mein Kind. Das sagen zwar alle Eltern, aber ich habe es offiziell, schwarz auf überweisungsträgerpink: Entwicklungsgestört. Mit einem „G“ – Gesicherte Diagnose.

    Was genau dieses „a little special“ ist und ob das wirklich nur „little“ ist, oder ob da etwas tiefgreifendes dahintersteckt, das ist alles noch offen. Wir befinden uns in der Schwebe zwischen Un- und Sicherheit. Wir wissen ein wenig, aber das meiste nicht. Wir wissen etwas besser, was eigentlich die Frage ist, und immer ein wenig genauer, wem wir sie am besten stellen sollten. Wir tasten uns voran. Aktuell tut sich uns der Weg nicht weiter auf als der nächste eine Schritt. Wohin der Weg überhaupt führt, ist eine Frage, die ich versuche, nicht zu oft zu stellen. Zu müßig.

    Aber so ganz dagegen wehren kann ich mich nicht. Immer wieder habe ich wie so kleine Visionen in meinem Kopf. Bilder, wie es aussehen könnte. Meine Fantasie kreiert Szenarien, kleine Blitzlichter. Mal schön, mal schwierig. Letztens habe ich Hausschuhe gesehen, die süß waren. Aber wie alt wird mein Kind sein, wenn es laufen lernt? Vielleicht 18 Monate? Vielleicht drei Jahre? Seit Monaten sieht es aus, als würde es jeden Moment anfangen, durchs Wohnzimmer zu rollen. Und doch passiert nichts. Laufen ist unendlich weit weg.

    Es ist eine mulmige Schwebe. Schwierig auszuhalten. Und doch geht es. Immer wieder schaue ich mein Kind an und denke mir: „Du hast kein Problem. Dir gehts gut. Ich habe das Problem.“ Ihm ist es herzlich egal, entwicklungsverzögert zu sein. Mein Kind ist ein glückliches, ausgeglichenes kleines Wesen. Es hat keinen Leidensdruck. Den Leidensdruck habe ich.

    Es ist ein Leidensdruck, weil es so schwierig ist, nicht zu wissen, was ich erwarten kann – noch viel weniger als andere Eltern. Es ist schwierig, weil ich oft nicht weiß, welchen Maßstab ich anlegen soll – oder vielmehr, weil zwei Maßstäbe gleichzeitig in mir existieren. Es gibt den maßgeschneiderten Maßstab aus Mutterintuition und dem tiefen Kennen meines Kindes und den mir viel zu bewussten allgemeinen, vielleicht medizinischen Maßstab. Viel zu oft sagt der eine Maßstab: „Für ihn war das gerade etwas Großes, Neues“, und der der andere Maßstab zeigt an: „Trotzdem noch lange nicht genug.“ Es ist schwierig, weil das Erleben des Andersseins oft schwierig ist. Schon seit Monaten kann ich nicht mehr unter anderen jungen Müttern sein, ohne bis in die Knochen zu spüren, das bei uns etwas einfach anders ist. Dieses Fremdsein, Anderssein, es macht mir manchmal Angst.

    Das Schwierigste aber ist das Emotionale. Ein Kind, das nicht laufen lernt, das ist das Eine. Aber ein Kind, für das ich als Mutter völlig austauschbar bin – das trifft einen völlig anderen, viel tiefergehenden Nerv, und die Angst davor weckt Gefühle, denen ich mich aktuell nicht stellen kann. Hier verdränge ich und sage mir: Unwahrscheinlich, extrem unwahrscheinlich. Und halte mich an allem fest, das darauf hinweist, das mein Kind zu mir eine andere Bindung empfindet als zu jemand Fremdem. Wahrscheinlich hat es eine besondere Bindung zu mir. Aber so ganz sicher bin ich mir nicht. Und diese kleine Restunsicherheit – die ist das Schwierigste von allem.

    Aber was sollen wir tun? Wir können uns nicht konsumieren lassen von diesen Sorgen und Gedanken, mein Mann und ich. Also tun wir, was gerade geht: Uns darauf fokussieren, dass es unserem Kind gut geht. Über all das Mulmige reden, ihm den gebührenden Raum geben – und dann das Thema wechseln. Neue Beobachtungen über unser Kind anstellen und sie nicht allzu sehr zu werten. Wir haben verstanden, dass egal, wie der Weg aussieht, eines nicht passieren wird: Niemand wird uns die eine Spritze, die eine Tablette, die eine Therapie anbieten, und zack, hat sich alles aufgelöst und liegt in der Vergangenheit. Niemand wird uns die eine Antwort geben und auf einmal ist alles klar und einfach. Wir befinden uns auf einem Weg, auf dem auf jede Antwort eine Frage folgt. Ein gewisses Maß an Schwebe, an Unsicherheit, an Hoffen und Bangen wird uns aller Wahrscheinlichkeit nach eine ganze Weile begleiten. Besser, wir freunden uns damit an. Besser, wir arbeiten jetzt daran, einen guten Umgang damit zu finden.

    „Vielleicht löst sich die ganze Symptomatik auch in Wohlgefallen auf“, sagte der Kinderarzt am Ende unseres letzten Termines. Ich meine, ihm anzusehen, dass er so etwas schon erlebt hat. Also bleibe auch ich offen dafür. Mir ist bewusst, dass wir nichts wissen über das, was kommt.

    Und weil ich keinen ordentlichen Schlusssatz habe, höre ich hier jetzt einfach auf. Das Kind schläft, mein Mann hat Zeit. Wir spielen jetzt Stardew Valley.

    Junge Muttis und der Perfektionismus

    Andere junge Muttis sind anstrengend für mich. Entweder sind sie mir zu stressig, machen ein riesen Ding aus Themen, die ich zusammenimprovisiere und so in Ordnung finde, und wecken in mir die Frage, ob ich es nicht vielleicht doch falsch mache. Oder sie schauen mich irritiert an, wenn mir ein Thema wichtig ist und ich mich etwas mehr hineininvestiere, und wecken in mir die Frage, ob ich übertreibe. Hach ja.

    Mein Mutti-Ich ist so alt wie mein Baby, was aktuell acht Monate sind. Das ist noch nicht besonders viel. Genau wie mein Baby habe ich dieser Zeit schon sehr viel gelernt. Enorm viel. Eine der Baustellen, die noch vor mir liegt, ist dieses gelassene Selbstverständnis als unperfekte Mutti.

    Es sind die Gegensätze, die es so schwierig machen: Klar will ich das Beste für mein Kind. Aber ich will auch gelassen und emotional verfügbar sein. Es gibt eine Milliarde Themen bei einem Baby, in denen ich mich auf der Suche nach dem Besten verrennen kann. Manchmal gibt es tatsächlich ein „richtig“ und ein „falsch“, und dann würde ich es schon gerne richtig machen. Oft ist das Beste für mein Baby aber auch, einfach irgendeine Zahnpasta, Sonnencreme, Schnuller zu kaufen und es einfach irgendwie schlafen zu legen und irgendwas essen zu lassen, und mir meine Energie zu sparen, um eine entspanntere, geduldigere Mutti zu sein.

    Der Druck der Gesellschaft, unserer Kultur, auf junge Mütter ist für mich beinahe körperlich spürbar. Das macht alles noch so viel schwieriger. Jetzt muss ich nicht nur mit meinem eigenen Perfektionismus kämpfen, sondern mich auch noch vor diesen anonymen Augen rechtfertigen. Es ist unmöglich, allen Ansprüchen zu genügen, und klar, am Ende muss ich meinen eigenen Weg finden, und das tue ich auch.

    Aber genau das macht andere Muttis so anstrengend. Jede von uns kämpft um ihren eigenen Weg. Und wenn mal eine labile Entscheidung getroffen, ein labiles Gleichgewicht gefunden wurde, dann ist es irritierend, wenn eine andere Mama zu einem anderen Ergebnis gekommen ist. So schnell hinterfrage ich mich dann doch wieder, obwohl ich es nicht will. Vergleichen ist so anstrengend.

    So erinnere ich mich immer wieder: Es gibt viele richtige Wege. Es geht darum, welcher Weg zu dir und deiner Familie passt. Gestalte es so, dass es dir Spaß macht und sowohl dir als auch dem Baby gut damit geht. Wenn da eine andere Mutti ist, die die Dinge anders macht, dann wertet dich das nicht ab; dann ist das keine Aufforderung, dich zu hinterfragen. Es ist einfach nur eine andere Mutti auf ihrem Weg.

    So richtig weiß ich noch nicht, wie ein Beisammensein mit anderen Mamas funktioniert, dass es wirklich aufbaut und ermutigt und nicht gleichzeitig auch sehr anstrengt. Vielleicht kommt das, wenn ich sicherer geworden bin. Vielleicht kommt das nie so richtig.

    Vielleicht ist es genauso, wie es immer war: Als Student in der Klausurenphase war nichts so anstrengend wie andere Studenten in Klausurenphasen. Vielleicht brauche ich gerade auch einfach die Anderen, um gut bei mir selbst sein zu können: die Single-Freunde, kinderlosen Paare, Mütter von groß gewordenen Kindern, die Teenies. Die, die mir zeigen, dass die Welt größer ist als die Frage danach, wie man ein Kind händelt, dass kein Bock auf Beikost hat, was das für Pickelchen auf der Wange sind und ob wir mit Einschlafstillen gut fahren oder wir es uns abgewöhnen sollten. Die, die mir demonstrieren: Es gab ein davor und es wird ein danach geben, und im Großen und Ganzen sind all diese Fragen nicht so wichtig.