Pisserziehung oder Die wahre chinesische Männlichkeit

Mein Highlight des heutigen Tages war, im chinesischen Kindergarten an der offenen Toilettentür vorbeizugehen und fünf zwei- bis vierjährige Jungs beim einträchtigen Pinkeln zu erblicken. Sie standen mit heruntergelassenen Hosen und ernsten Gesichtern um die Kindertoilette herum und taten, was sie nun mal tun mussten. Freihändig. Ich war schwer beeindruckt.

Innerhalb meiner achtzehn Jahre Lebenserfahrung bin ich zu dem eindeutigen Schluss gekommen, weiblich zu sein. Trotzdem war ich irgendwie häufig genug dabei, wie kleine Jungs in Deutschland Toilettenerziehung bekommen haben. Korrigiert mich, wenn ich falsch liege, aber ich habe das Gefühl, in Deutschland wird ausführlich immer und immer wieder gepredigt, dass Jungs sich hinzusetzen haben. Es wird nicht nur gepredigt, es steht sogar auf kleinen Klebeschildern an Toilettentüren und in Klodeckeln.

Trotzdem klappt das natürlich nicht. Mir scheint, die Jungs lernen das nicht und wollen es trotzdem und deswegen wird es eklig. Selbst wenn sie irgendwann erwachsen sind.

Hier ist das anders. Hier werden die Jungs dazu erzogen. Hier sind Zweijährige freihändig treffsicher. Da ist nix eklig.

Vielleicht ist das die Rache am Westen. Für Westler wirken chinesische Männer oft recht weiblich. Sie nehmen die kleineren, schwächeren Stupsnasengesichter mit ihrem Kollektivdenken und Fassadengehabe oft nicht so richtig ernst. Vielleicht ist das Pinkeln der Weg der Chinesen, ihre Männlichkeit zu verteidigen und die Nase bzw. ihren… naja vorn zu behalten. Subtil, kaum einer weiß es, aber wenn sich dann mal die wirklich wichtigen Businessbosse der Welt am Pissoir begegnen…

Wie auch immer. Ich habe dann irgendwann beschlossen, endlich weiterzugehen und diese Inkarnation wahrer chinesischer Männlichkeit nicht weiter anzustarren. Wenn die weiße Freiwillige interessiert den kleinen Jungs beim Pinkeln zuschaut, gibt das schnell falsche Assoziationen, auch wenn sie dabei tiefgreifende Erkenntnisse über die Machtverhältnisse auf diesem Globus hat.

Westler im Bus

„Guckt mal. Westler.“

sagt irgendeine von uns dreien, als wir die Busstation betreten.
„Touristen“, diagnostiziert eine andere routiniert.
Die kleine Reisegruppe sieht verwirrt aus und nicht wirklich, als wüssten sie, was sie tun.
„Sollen wir denen mal erklären, wie man Bus fährt?“, frage ich amüsiert-gleichgültig.
„Nee, erst mal schauen, ob sie alleine zurecht kommen.“ Wir grinsen.

Vorhin erst haben wir zwei westlichen Backpackern beim Fähre fahren geholfen: Zur Insel hin zahlt man, zurück nicht. Am Schalter zahlt man nicht und wechselt auch keine Währungen, sondern wechselt nur Scheine zu alten Münzen. Nein, mit Dollar meinen sie nicht euer amerikanisches Geld, sondern malaysische Ringgit. Die Automaten nehmen nicht alle, sondern nur alte Münzen. Nein, man bekommt kein Ticket, sondern geht dann einfach durch. Ist doch alles völlig selbsterklärend. Wo ist denn das Problem?

Die verwirrte Reisetruppe hat es kurz darauf allerdings tatsächlich alleine in den Bus geschafft und wirkt wie erwartet völlig fehl am Platz. Dem Akzent nach zu urteilen Amerikaner. Wir genießen es, deutsch zu sein: Uns versteht keiner, wenn wir lästern.

„Wie sehr die einfach auffallen.“
„Echt. Aber Westler fallen immer auf.“
„Viel zu groß.“
„Und zu lange Nasen.“
„Guckt mal, die sind fast alle blond.“
„Der da trägt bestimmt auch nur Hollister, um cool zu sein.“
„Und Nikes. Wetten, die sind auch noch echt?“
„In so kurzen Sachen würde auch kein Einheimischer rumlaufen. Typisch Touristen.“

Pause.

„Fallen wir eigentlich auch so auf?“
Wir gucken uns nachdenklich im Bus um und schauen uns die Touristen und Einheimischen an.
„Nee, wir ziehen uns nicht so an wie Touristen.“
„Außerdem ist keine von uns blond.“
‚Aber Sinas Haare sind rot‘, denken alle und keiner sagts. Es würde die Argumentation kaputt machen.

Erneute Pause.

„Ich glaub, für die Einheimischen sehen wir genauso aus wie die Touristen“, spricht dann endlich wer die Wahrheit aus.
„Wahrscheinlich.“ Wir grinsen und eine von uns zieht ihr Tuch fester um den Hals.

Kein Einheimischer würde sich bei den gefühlten 12 Grad im Bus ein Tuch umlegen. Sowas machen nur die komischen Westler, die mit den Klimaanlagen nicht zurecht kommen.
Die Touristen haben keine Tücher. Sie haben keine eingepackt, weil sie dachten: Malaysia ist heiß, da braucht man sowas nicht. Sie erkälten sich. Wir wissen es besser.

Wir verpassen unsere Bushaltestelle, weil zwar alles unterschiedlich, für uns aber völlig gleich aussieht und keiner aufgepasst hat. Kichernd stolpern wir eine Haltestelle zu spät neben einem Stand mit Soja-Shakes aus Plastiktüten auf die Straße.

Die Einheimischen schauen uns aus dem Fenster hinterher.