Laternenlichtleuchten

Zu Hause.

Das ist ein Ort, der ist zu Hause.

Diese neue Stadt hier, die ist jetzt zu Hause. Sie fühlt sich neu und vertraut an und wie zu Hause. Manchmal auch nicht. Da will ich dann zurück, zurück zu meinem richtigen Zuhause. Nur, dass es das nicht mehr gibt. Das, was sich für mich mal nach Zuhause angefühlt hat, fühlt sich nämlich jetzt doch ganz schön fremd an.

Vielleicht, weil ich mal ein Puzzlestück in diesem Puzzle war, es aber dann verlassen habe. Jetzt habe ich mich verändert. Meine Familie hat sich verändert. Ich passe nicht mehr hinein. Etwas ist vertraut, aber es ist eben auch anders. In mein Elternhaus, meine Familie kommen, heißt, nicht mehr so ganz ich selbst sein zu können. Und zu Hause, da darf man richtig man selbst sein.

Wo ist denn dann jetzt mein Zuhause? Bin ich heimatlos?

Ich liebe Laternen. Ich meine nicht Straßenlaternen. Ich meine Metallkäfige mit Glasscheiben, in denen Lichter brennen. Die man umher tragen kann. Die gemütlich aussehen, ein bisschen hell in die Nacht bringen und bei Wind nicht ausgehen.

Laternen sehen heimelig aus. Heimelig, das heißt: Wie Heimat. Sie sehen wie zu Hause aus. Und das, obwohl man zu Hause eigentlich nie Laternen braucht. Laternen, die hat man dabei, wenn man woanders ist. Nicht zu Hause. Und dort machen sie es hell.

Vielleicht bin ich heimatlos. Und vielleicht ist mein Herz eine Laterne.

Das klingt dämlich.

Vielleicht ist mein Herz eine Laterne und ich bin auf dem Weg nach Hause. Ich weiß nämlich, dass es ein Zuhause gibt. Eine Zuhause, wo ich sein kann, wie ich bin. Wo ich einen Vater habe. Dieser Vater hat mir gesagt, dass es normal ist, dass ich mich auf dieser Erde irgendwie fremd fühle. Und er hat mir gesagt, dass er mir in mein Herz etwas hineingelegt hat, das man vielleicht am Besten als Ahnung beschreiben könnte: Eine Ahnung davon, wie sich zu Hause wirklich anfühlt. Eine Ahnung davon, was es heißt, ganz ich selbst zu sein. Eine Ahnung davon, was es heißt, wirklich einen Vater zu haben.

Er hat mir auch erklärt, warum er mir diese Ahnung gegeben hat: Damit ich Hoffnung habe.

Mein Herz leuchtet zuversichtlich sein Laternenlichtleuchten und es wird ein bisschen hell. Was scheint, ist diese Ahnung, ist diese Hoffnung. Nein, ich bin nicht heimatlos. Ich bin unterwegs.

Die Tasche packen und weiterziehen

Über den dritten Anfang, nachdem zwei Anfänge in Einsamkeit und Verletzung gemündet sind

Es hat sich gut angefühlt, mein ganzes Leben in einen großen, roten Wanderrucksack von 15 kg zu packen und in ein fernes Land zu ziehen. Noch besser hat es sich angefühlt, mein ganzes Leben in einen großen, roten Wanderrucksack von diesmal 17 kg und einen kleinen, grünen, sehr ökonomisch gepackten Trolly  von 12 kg zu packen und wieder nach Deutschland zurück zu kommen. Das erste Packen ist nun etwas mehr als ein Jahr her. Das zweite ein paar Monate.

Ich möchte das wieder machen.

Ich möchte wieder eine nicht allzu große Tasche nehmen und überlegen, was ich wirklich brauche. Ich möchte wieder alles zurück lassen, was mich nicht wirklich davon überzeugen kann, dass ich es brauche. Ich möchte wieder alle meine Dinge reduzieren auf ein bisschen, auf eine oder zwei Taschenfüllungen.

Denn ich fühle mich schwer.

Ich fühle mich beladen mit ganz vielen Dingen, die ich nicht mehr haben möchte. Mit Beziehungen, die zu pflegen mich nur anstrengt. Mit Vertrautheit, der mehr beengt als Geborgenheit gibt. Mit Blicken auf mir, gefärbt von Vergangenheit – Vergangenheit, in der ich anders war als jetzt. In der ich gerne anders gewesen wäre, als ich es wirklich war.

Ich will weg.

Vielleicht ist das ein Fluchtinstinkt. Ja, natürlich ist das ein Fluchtinstinkt. Ich fliehe vor Menschen, Themen, Orten, die mir schwer fallen. Ich fliehe vor schwierigen Gesprächen und noch schwierigeren Entscheidungen, fliehe vor der Vergangenheit. All das ist schwer. Ich will leicht sein und mich leicht fühlen. Ich fühle mich nicht leicht. Ich fühle mich angespannt, und wenn ich an mir herunter sehe, entdecke ich meine Hand viel zu oft als Faust, unbewusst geballt angesichts meines Lebens.

Was ich nicht wieder möchte, ist neu anfangen. Am liebsten wäre mir eine Lücke, eine Pause, eine Zeit, in der ich nichts muss – eine Auszeit. Ich habe Angst vor dem Neuanfang. Ich habe Angst, meinen Platz nicht zu finden, keine guten Freunde zu finden, mich unwohl zu fühlen. Ich habe Angst vor dem Haken, den ich nach all den Schlägen und Enttäuschungen der letzten Monate automatisch erwarte. Der Haken, der alles zerstören wird. Er muss da sein. Es gibt ihn immer.

Es gibt ihn nie.

Ich weiß das, weil ich gesehen habe, wie aus Asche und Schmerz Gold wird. Weil ich eigentlich ja schon weiß, wie das geht. Doch das nimmt einem nicht die Angst, und der Bruch, der durch mein Vertrauen geschlagen ist, als ich allein gelassen wurde, er geht tiefer als nur diese Beziehung, er nimmt mir noch viel mehr, hat mir einen lauernden Blick eingeimpft, ein Misstrauen, ein das-Schlimmste-Erwarten. Ich bin nicht mehr so frei und unbedarft wie früher.

Wenn ich diesmal meine eine oder meine zwei Taschen voll packe, und in ein paar Wochen wird es soweit sein, dann will ich das nicht mitnehmen. Diese Schwere, das Misstrauen, die Verletzung. All mein gebeutelt-sein, das möchte ich nicht einpacken. Heilung, die packe ich ein.

Ich weiß, dass das nicht geht. Dass es Dinge gibt, die mitkommen, weil sie zu mir gehören, ob ich das will oder nicht. Ich weiß das.

Vielleicht will ich auch gar nicht meine Tasche packen und los ziehen. Vielleicht will ich viel lieber die Decke über den Kopf ziehen und so tun, als gäbe es mich nicht und als hätte es mich nie gegeben. Dann wär ich ganz leise, versteckt in mir, und keiner kann mich finden. Ein Igel in Tarnfarben. Die Welt ist mir zu viel, und meine Welt noch viel mehr. Es gibt mich nicht mehr, denn ich kann nicht mehr. Ich hab keinen Mut, ich verstecke mich, es lohnt sich nicht.

Doch, es lohnt sich.

Ich packe meine Tasche in das Auto und ziehe um.

Billige Versöhnung

Aus dem Archiv.

Gerade habe ich einen Film gesehen. So einen Romeo-und-Julia-Film. Nicht in der Hinsicht, dass die Liebe vergöttert wird, sondern in dem Sinne, dass sich zwei verfeindete Familien über den Tod des einen Kindes versöhnen.

Billige Versöhnung. Immer ist es so. Einen Film lang wird die Verfeindung, die Verbitterung, die Unvergebenheit, das Unverständnis aufgezeigt, wie tief es geht, wie weit es reicht. Und dann gibt es einen emotionalen Moment fünf Minuten vor Schluss, indem sich alle versöhnen. Zeitsprung: Die glückliche Zukunft.

Ich glaube an Versöhnung. Ich habe Versöhnung selbst erlebt. Ich habe Verbitterung und Unvergebenheit erlebt und mit mir herum getragen und ich bin durch all diese Phasen gegangen, die es braucht bis zur echten Versöhnung. Es ist ein weiter Weg. Er ist anstrengend. Er ist nicht nur schön.

In der Bitterkeit liegt eine Härte, die eine kurzfristige Kraft birgt. Aus dieser kurzfristigen Kraft heraus beginnt man zu handeln, es entstehen Muster. Die Härte wird Teil eines Systems. Die meisten Menschen lernen, darin zu leben. Auch wenn sie innerlich zerbrechen: Die Härte bleibt aufrecht, das System läuft weiter. Wenn so eine Maschiene erst einmal in Gang gesetzt worden ist, ist sie schwer zu stoppen.

Versöhnung zerstört das. Auf einmal steht man still. Aber die Zeit geht weiter, und irgendwie muss man weitermachen. Man muss alles neu lernen, denn es gibt einfach kein System mehr, das funktionieren könnte.

Außerdem muss noch so viel aufgeräumt werden. Auch wenn man sich ganz grundsätzlich vergeben und versöhnt hat, so gibt es doch noch Verletzungen, die nicht angeguckt wurden, noch nicht geheilt sind, wo immer noch Bitterkeit ist. Manchmal stehen Menschen voreinander, ehrlich an Versöhnung interessiert, aber die Fremdwahrnehmung passt nicht zur Eigenwahrnehmung, man sagt etwas mit der Intention des Friedens und es wird als Angriff aufgefasst, man fällt zurück in die alten Antworten. Durch all das muss hindurch gegangen werden. Versöhnung ist ein langer, anstrengender Weg.

Er ist es wert. Hier stehe ich und bin so viel reicher durch all das, was ich gewonnen habe, weil ich durch diese Momente gegangen bin.

Doch anders ist es. Anders als die billige Versöhnung eines emotionalen Momentes. Diese reicht nicht weit. Es ist eine ganze, tragfähige, sendende Versöhnung. Das ist die Versöhnung, die ich wählen will – immer wieder.

Wenn ich gehe

(Ein kurzer Gedanke vom 12. Januar 2014.)

Wenn ich gehe, hältst du mich im Gleichgewicht. Du balancierst mich aus, bereitest den Weg vor. Ich brauche mich vor nichts zu fürchten, denn du gehst vor mir her und bereitest alles für mich vor. Egal, was passiert, ich kann dir vertrauen, denn du meinst es uneingeschränkt gut mit mir. Furchtlos und sicher gehe ich voran, denn ich habe Autorität.

Never going back to okay

(Ein Text von 14. Juni 2013)

Soundtrack und Inspiration zu diesem Text: Never going back to OK – The Afters

Ich habe Angst, denn ich bin dem allem nicht gewachsen. Nichts passt zu dem, wie es immer war. Ich bin lebendig, aber ich weiß nicht, seit wann. So viele Tage verschwendet, um jemand zu werden, der ich jetzt nicht mehr sein will. Alles ist zu groß für meine Hände. Ich habe Angst,

doch so lange ich weitergehe, ist alles gut. Das war alles gestern, und dahin werde ich nie zurück kehren. Niemals werde ich zurück kommen zum nur irgendwie okay sein und zum nur Tage verbringen, die okay sind. Ich will nie wieder zum einfachen, minimalen Denken und Handeln zurück. Wie es war, so soll es nie wieder werden.
Okay war gestern.

Der Weg führt nach vorne.

Der Weg führt nach vorne.

Lauf, Kind, lauf.

(Ein Text vom 14. November 2011. Ich habe ihn am 9. Februar 2012 schon hier gepostet, aber ich habe ihn so lieb gewonnen, dass ich ihn euch noch einmal zeige. Er passt immer wieder. Zum Beispiel jetzt.)

Lauf, Kind, lauf, wohin dich deine Beine auch tragen.

Die Gedanken schweigen dazu. Ich will raus, raus aus meinem Körper, will mich als ein Nichts aus Atemhauch und Illusion wegwehen lassen. Will alle Müdigkeit, alle Erschöpfung fallen lassen. Will mich nicht mehr so schlapp fühlen. Will aufstehen, aufsteigen, entgegen der Blätter, die in der Herbstluft zu Boden fallen, leicht, nicht mehr an meinen Körper oder an Naturgesetze gebunden, einfach so. Will nicht mehr den Kampf kämpfen, den Kampf gegen die Schlaflosigkeit, gegen die Erschöpfung, gegen das, was vielleicht irgendwann in einem Burnout endet. Will fliegen und mir alle Stimmen und Emotionen heraus blasen lassen, bis nur noch dieses eine Gefühl da ist.

Flieg, Vogel, flieg, wohin dich deine Flügel auch tragen.

Kann es nicht ertragen. Diese Schwäche. Dass ich es tun will, dass andere es von mir fordern, aber ich nicht kann, weil es nicht geht. Weil da eine Grenze ist. Weil da etwas im Weg ist. Zuviel Aufregung, zu viele Menschen, zu viele Stimmen, zu viele Dinge. Sie liegen auf mir, hindern mich daran, zu tanzen. Ich will sie abschütteln. Ich will keine schmerzenden Schultern mehr haben. Ich will wieder aufrecht stehen, nicht krumm. Ich will wieder Kraft haben, stark sein. Oder mich treiben lassen. Treiben lassen, den Fluss des Lebens, wo alles Böse und alles Schlechte am Ufer zurück bleibt und das Wasser mich durchspült und sauber macht, reinigt, von allem, was nicht wichtig ist.

Schwimm, Fisch, schwimm, wohin dich deine Flossen auch tragen.

woandershin.

Will mich verkriechen, verstecken, verschwinden. Abhaun, in ein anderes Universum, in der es keine Zeit gibt, keine Eile und keine Sorgen. Keine Erwartungen. Will wegfliegen, raus aus dieser Welt. Woandershin, wo ich nichts sehen muss und nichts hören. Wo es ruhig ist, geborgen ist. Wo niemand nach mir fragt. Wo es keinen Wert gibt, den ich habe oder nicht habe, keine Schwächen oder Stärken. Kein Durchhalten. Wo ich mich ausruhen kann. Wo niemand ist, der mir Druck machen kann. Keine Vorstellung von mir, der ich genügen muss. Wo es dunkel ist, dunkel und leise. Und weich! Und entspannt. Tiefenentspannt.

Dorthin will ich, jetzt. Ich will, dass diese andere Welt mich aufnimmt und mich wiegt, bis alles von mir abgefallen ist, und noch länger. Eine kleine Ewigkeit.

Und dann will zurück hierher kommen und stark sein, voller Tatendrang, Energie und Präsens. Zurück kommen, und es schaffen können und Spaß daran haben. Frei sein von Schwäche und Ohnmacht. Mächtig will ich sein, mächtig und frei und schön.

Und ich selbst.