Oma, du wirst alt

Oma, du wirst alt.

Ich erinnere mich noch an die Zeit, als Mama und Oma sich vor allem in einer Sache von mir unterschieden haben: Sie waren erwachsen. Gleichermaßen. Ich weiß noch, wie Oma mich sicher durch die fremde Stadt geleitet hat und immer wusste, was zu tun ist, die günstigsten Parkplätze und die besten Eisdielen kannte. Jetzt ist das anders. Oma und Opa haben das Auto schon vor ein paar Jahren weggegeben. In der Stadt passe ich jetzt auf Oma auf, dass sie sich in ihren Gedanken und Schritten nicht verheddert. Und die beste Eisdiele, nun ja, das ist einfach die, die schon immer „die beste Eisdiele“ war, ganz egal, ob der Besitzer gewechselt hat oder nicht.

In der Sicherheit des eigenen Hauses und Gartens merkt man es Oma und Opa vielleicht gar nicht an. Gewohnte Abläufe, die werden wohl auch noch eine ganze Weile gut funktionieren. Darin geht es ihnen gut. Aber bringt etwas Fremdes dieses Gleichgewicht durcheinander, fällt ihnen der Umgang damit oft schwer. Dann sind sie aufgeregt, Oma und Opa. Und ganz durcheinander.

In vielem liegt ein Schatten. Ein Schatten von dem, was einmal war. Der Humor – manchmal sind das meine Großeltern, wie ich sie kenne. Und manchmal wird es kindlicher, einfacher. Immer wieder blitzt die Intelligenz von früher durch, Opa mit seinen Zahlen, Oma mit ihren Worten. Aber das Prüfen von neuen Informationen, das klappt nicht mehr so gut. Dann sitze ich mit ihnen beim Abendessen und sortiere mit ihnen das, was sie im Fernsehen gesehen haben. Und wenn ich etwas erzähle, zum Beispiel aus dem Studium, können sie oft nicht so ganz folgen. „Na gut“, sagt Opa dann und nickt. „Ist ja spannend, was du da lernst“, sagt Oma.

Oma und Opa, ihr werdet alt,

und jetzt bin ich da. Wohne jetzt auch in ihrer Stadt. Irgendwie ist das einfach so passiert. Ich bin da, sehe ihnen beim alt werden zu und warte ab. Was als nächstes passiert. Bleibt das jetzt erst mal so? Brauchen sie bald mehr Hilfe? Kann ich die dann geben? Wie soll es der andere ertragen, wenn einer stirbt? Und was mache ich dann?

Tod und Sterben. Auf den Tod hin leben. Das sind so traurige Themen. Aber alles hat seine Zeit. Jetzt ist die Zeit von vielen Gartenstunden, Urlauben zu Hause und den Früchten einer lang gelebten Ehe. Jetzt wird die Enkeltochter bekocht und über den Nachbarn gelästert.

Und mehr muss doch auch gar nicht mehr sein, oder? Mehr war früher. Und morgen gucken wir, was morgen noch geht. Und bis dahin bleiben wir im Jetzt, leben wir heute.

Fußballfieber Edition 60+

„Ich habe in letzter Zeit Fußball für mich entdeckt“, vertraut mir Oma mit wichtiger Stimme an.
„Fußball?“, wiederhole ich zum Amüsement interessiert.
„Ja, Fußball. Ich finde, es ist gut zur Unterhaltung. Da quatscht mir keiner son Blödsinn ins Ohr.“
„Naja, da quatscht schon einer Blödsinn, und zwar nicht zu wenig…“, gebe ich zu bedenken.
„Na, aber den kann man ja ausschalten!“, triumphiert sie.
Ausgefuchst, meine Oma.

„Nein, und schon wieder daneben! Ohh“, höre ich kurz darauf eine mitgerissene Stimme aus dem Wohnzimmer, während ich in der Küche noch das Geschirr vom Abendessen abtrockne. Mir das Lachen verkneifend linse ich aus der Küchentür. Gerade tritt mein Opa hinzu und fragt meine Oma: „Wer denn? Der HSV?“

„Na die Roten!“ Pause. Leiser: „Wer war das jetzt nochmal?“ Pause. Dann wieder voll drin: „Aber sie hatten drei gute Chancen und alle vorbei!“

Übergangsweise Rentnerin

Ich schlafe derzeit in einem echten Federbett. Das hölzerne Bettgestell ist uralt und die Bettwäsche ist braun mit Blümchen. Aufgestanden wird etwa um acht und gefrühstückt wird ordentlich. Nicht so wie diese Jugend von heute, merkwürdige Smacks mit Milch halb im Stehen herunterkippen, nein. Erst wird der Frühstückstisch gedeckt, dann ein Schrotbrot mit selbstgemachter Jonhannisbeermarmelade (mit wenig Zucker) gegessen und dazu ein zuvor gekochtes Ei.

Der Vormittag wird gestaltet nach Notwendigkeiten und Belieben. Irgendwann mittendrin gibt es einen Teller mit Obst. Den essen wir gemeinsam. Wäre es ein wenig später im Jahr, wäre wohl jede freie Minute mit dem großen, schönen, ertragreichen Garten gefüllt, aber so weit sind wir noch nicht.

Das Mittagssen ist selbstgekocht und enthält viel Gemüse. Und der Teller wird leergegessen! Im Krieg wäre man froh gewesen, hätte man so viel gehabt! Und sowieso ist man unter 150 Pfund ziemlich dünn. Da kann noch ordentlich was auf die Rippen!

Die Mittagspause versteht sich von selbst – wahlweise auf meinem hellen rot-braunen Sofa oder im Federbett. Hab ich auch dringend nötig – irgendwie bin ich bis Mittags immer schon wieder richtig müde. Danach wird spazieren gegangen, bei jedem Wind und Wetter. Bewegung ist wichtig, und so lange man noch kann, sollte man auch!

Es folgt selbstgemachter Kuchen. Alle Malzeiten gehen übrigens mit Unterhaltungen einher, wahlweise über die Geschehnisse im Garten, über Literatur, die Vergangenheit oder – was den anwesenden Mann angeht – Mathematik. Spätestens nach dem Kuchen wird der Kachelofen angeheizt. Die Nachmittagsgestaltung varriiert wie der Vormittag – nur, dass es um halb sechs noch mal einen Tee gibt. Gut, immerhin bei den Tabletten um halb sieben passe ich.

Abendessen (Notiz an mich: Ellebogen vom Tisch), es folgen Nachrichten (ach, schon wieder so spät!). Schließlich Abendprogramm: Rätseln (Sudoku, Kreuzworträtsel – aber nicht die Versionen für Laien, versteht sich!) oder Kochshow gucken (na, das würd ich aber anders machen!) im Wohnzimmer. Spätestens um halb elf ist Ende. Reicht ja auch. Zurück ins Federbett.

Gesprochen wird laut und deutlich – es ist ein Schwerhöriger im Haus. Sich bewegt, gedacht, entschieden, gegangen wird langsam. Wir haben schließlich alle Zeit der Welt. Wozu die Eile? Mediennutzung – insbesondere dieses Internet – wird rein nach unmittelbarem Nutzen betrieben. E-Mails, sowas geht ja noch. Auch Weine im Internet bestellen ist inzwischen fast Routine. Aber dann ist auch Schluss.

Ja, ich lebe gerade bei meinen Großeltern und schmecke ein bisschen Rentnerleben. Meine Vormittage, Nachmittage und teils auch Abende sind allerdings gefüllt mit Stammfunktionen, Hypothesentests, Kafka, Schiller, Montessouri und Gewalttheorien nach Rauchfleisch. Das relativiert das alles wohl ein bisschen. Und auch, dass mein Opa mich immer „Fräulein“ nennt, wenn ich irgendetwas in Mathe nicht verstehe, nimmt mir irgendwie meine Rentnerillusion.

Aber egal. Wenn ich demnächst mal zum Supermarkt gehe, werde ich meinen Grünkohl auf den Cent genau bezahlen. Beim nächsten Mal, wenn irgendwo Radio läuft, werde ich auf die Jugend und diesem „unmelodischen Lärm aus dem Computer!“ schimpfen. Und die nächsten Schuhe, die ich mir kaufe, werden beige Gesundheitsschuhe sein.

Jawoll!