Eine Begleiterscheinung

Mit dem älter werden kam eine wundervolle, anstrengende und denkwürdige Begleiterscheinung: Jungs. Männer. Ihr wisst schon, diese Menschen mit Haaren am Kinn und Flausen im Kopf, die lieber über Themen als über Menschen reden und von uns Mädels keine Hilfe annehmen können. (Wobei das natürlich mehr eine pauschalisierte und unzureichende Indiziensammlung als eine auch nur ansatzweise akzeptable Definition von Männern ist.)

Ja, irgendwie gab es die ja auch schon vorher, aber da waren die noch anders: Blöd. Oder so alt, dass sie mehr als Onkel durchgingen. Ich meine, ja, blöd sind die immer noch irgendwie, aber damals waren sie nur blöd. Und heute sind sie so viel mehr. Heute machen sie so viel mehr mit mir.

Heute habe ich Schwierigkeiten, auf meine Gedanken, meine Fantasie und mein Herz aufpassen, wenn da mal jemand ein bisschen zu wundervoll für meine aktuelle Verfassung ist. Heute gibt es diese Momente in Gegenwart gewisser männlicher Gestalten, in denen ich krampfhaft auf mein eigenes Verhalten achte, nichts dagegen tun kann und mich dabei ziemlich dämlich fühle. Heute brauche ich gelegentlich mal eine beste Freundin oder ein vertrauliches Notizbuch, um mein ganzes Gedankenchaos in Bezug auf diese sonderbare Sorte Mensch loszuwerden.

Heute muss überlegen, was ich dann mit all dem mache. Ich muss herausfinden, wie nah zu nah ist – emotional. Körperlich. Ich muss mich damit auseinandersetzen, wie das ist, wenn jemand mich auf eine Weise anziehend findet, die ich nicht erwidern kann – oder andersrum. Ich muss einüben, meine Grenzen einzuhalten – die Grenzen, die ich mir gesetzt habe, um mir Zeit zu geben, mich zu schützen, und manchmal auch einfach nur, um mich hinter ihnen zu verstecken, die Decke über den Kopf zu ziehen und so zu tun, als würde ich für die Männerwelt nicht existieren.

Heute darf ich es genießen, schön genannt zu werden, und es einfach mal zu glauben. Ich darf Spaß daran haben, Jungs zu Wortgefechten herauszufordern. Und immer mal wieder vertraut mir einer und lädt mich ein in seine echte, ungeschönte Welt, gibt mir Zugang und erlaubt sich, vor mir verletzlich zu werden, und das sind mir die kostbarsten Momente.

Und ja, ich weiß, dass ich noch keine Ahnung habe. Ja, mir wurde schon gesagt, dass ich da ein bisschen naiv bin. Aber das ist okay! Ich weiß genug für jetzt und da sind Leute an meiner Seite, die auf mich aufpassen.

Also werde ich weiter älter, erwachsen, und lerne umzugehen mit dieser Begleiterscheinung, versuche sie zu verstehen und lerne allmählich dazu.

Ich mag Baumärkte.

Die besondere Macht und Wirkung von Baumärkten ist ja allgemein bekannt, leider jedoch literarisch unterrepräsentiert. Das ist ein Defizit, dem ich hiermit entgegenwirke.

Ich erinnere mich an eine Unterhaltung, die ich als recht kleines Kind mal aufgeschnappt habe. Eine Runde Männer machte sich darüber lustig, dass sie bei Stress in der Ehe oder dem Bedürfnis nach Auszeit gerne in den Baumarkt gehen, während ihre Frauen eher Shoppen gehen. Ich habe das damals noch nicht verstehen können, doch etwas in mir erkannte sofort die Signifikanz dieses Themas und speicherte diese Aussage irreversibel ab.

Als Künstler sind Baumärkte toll, weil sie die Kreativität kolossal anregen. Zwischen Farben, Rohren, Schrauben, Baumaterial und Werkzeug entspinnen sich ganz neue Ideen und Gedankengänge. Alles ist zugegen, die Möglichkeiten sind schier infinit. Da werden die Gedanken weit und absurd, das Künstlerherz regt sich und blüht auf.

Als Mädchen sind Baumärkte toll, weil die Etikette mit dem Betreten der Filiale fällt. Baumärkte sind vermeintlich mal Männersache gewesen, aber das ist es ja vielleicht auch, was sie für Mädchen so grandios macht. In Restaurants, in Supermärkten, in der Schule, selbst an der Bushaltestelle gibt es unausgesprochene Auflagen, wie Mädchen zu agieren haben. In Baumärkten nicht. In Baumärkten dürfen wir (polemisch gesagt) endlich mal Mädchen sein, ohne dem entsprechen zu müssen, was die Gesellschaft daraus gemacht hat. (Und ich mag das halt, so Mädchen sein unter Männern und so, wisst ihr ja.)

Als gemeiner Mensch sind Baumärkte toll, weil sie schlicht gut für das Selbstbewusstsein sind. Alles bezeugt, dass du es selber kannst, dass du es drauf hast. Keine unnötigen Instruktionen, keine Anstalten, den Betrieb zu beschönigen oder idiotensicher zu machen. Steht der Kram halt auf Paletten herum – so ist das im Leben. Alles kannst du erwerben, als könntest du alles verwenden, als wüsstest du, was alles ist – traumhaft.

Halten wir abschließend fest: Baumärkte = guter Ort zu sein. Ich mag Baumärkte.

So muss das.

Folgende Situation auf dem Zeltlager: Vor uns liegt eine Wanderung. Ein Mädchen hatte kaputte Beine, mit denen sie nur sehr kurze Strecken zurücklegen konnte. Also haben sich zwei Jungs einen kleinen Wagen geschnappt, haben sie da rein gesetzt und sie gezogen bzw. geschoben. Irgendwann ging der Wagen kaputt. Ab da wurde sie dann getragen.

Je länger ich darüber nachdenke, desto faszinierender finde ich das.

Die Jungs waren nicht nur einfach hilfsbereit. Sie waren Männer. Sie waren stark für das Mädchen. Sie wurden gebraucht. (Ich habe mir sagen lassen, dass das für Männer sehr wichtig ist.) Endlich konnten sie mal kämpfen (in gewisser Weise), und dann auch noch für ein Mädchen, na aber hallo. Sie hatten die Gelegenheit, zu beweisen, dass sie es drauf haben, und sie haben es geschafft.

Und sie? Ihr wurde vermittelt: ‚Du bist wertvoll. Es ist für uns wichtig, dass du dabei bist. Wir setzen uns dafür ein, dass du mitkommen kannst, auch wenn das Arbeit für uns bedeutet. Weil es toll ist, dich da zu haben. Du bist es wert.‘ Ihre Anwesenheit war eine umkämpfte Sache, das wusste sie. Und sie war so weise, diesen Einsatz der Jungs für sie annehmen zu können und sich dabei einfach wertvoll, glücklich und schön zu fühlen. Das Ganze hatte eine große Bedeutung für sie. Am Ende des Lagers meinte sie, es sei eine der tollsten Sachen der Woche gewesen, da mitkommen zu können. Na, man kann sich denken, wie sich die Jungs bei den Worten gefühlt haben.

Tadaaa, alle glücklich. Win-Win-Situation. Hier ist endlich mal alles richtig gelaufen. Naja, außer dass der Wagen jetzt kaputt ist. Aber trotzdem: Nehmt euch ein Vorbild, ihr Leute alle. Ich find das toll. Solche Situationen bewahren mir den Glauben an die Menschheit.