Laufen also.

Was werde ich tun?, habe ich mich gefragt, als ich im September in dieses Jahr gestartet bin. Womit werde ich meine Zeit verbringen?

Nach vier Jahren im engen Käfig des absurden Leistungsdrucks eines Studiums für ambitionierte Menschen war ich sehr bereit, endlich mal wieder frei entscheiden zu können, was ich mit meiner Zeit anstelle. Der Plan war allem voran, Platz zu schaffen, meine Seele baumeln zu lassen. Nur wie würde das aussehen? Ganz viel malen? Leute besuchen? Ein Buch schreiben? Wohin würde es mich treiben? Ich war sehr gespannt.

Nun, erstmal ist alles anders geworden als gedacht – wie so häufig. Erstmal war Renovieren und Umziehen dran. Aber jetzt, so ganz langsam, kommt das Gefühl von Gestaltungsfreiheit auf. Und was tue ich?

Offensichtlich laufen.

Wie im Autopilot ziehe ich mir immer wieder Schuhe und Jacke an und gehe vor mich hin, durchstreife Wiesen und Felder, sehe Kühe und Panoramen, lande im Wald oder im nächsten Dorf. Ich gehe, gehe, gehe. Und das ist nicht einmal eine bewusste Entscheidung. Ich mache es irgendwie einfach. Als wäre es mein Default-Modus.

Aber irgendwie macht es auch Sinn. Laufen ist schließlich das, worauf der menschliche Körper ausgelegt ist. Unsere Spezies kommt von der Treibjagd. Unsere Vorfahren sind deutlich schnelleren Beutetieren hinterhergelaufen, bis diese vor Erschöpfung umgekippt sind. Die Superkraft des Menschen ist es, lange Strecken zwar langsam, aber stetig zurückzulegen. (Neben Sprache, Daumen und Frontallappen, versteht sich, das sind auch alles Superkräfte des Menschen, aber das ist hier nicht der Punkt.)

Wandern beschäftigt den Körper und macht der Seele Raum. Das passt gerade sehr gut zu mir. Ob es die Erschöpfung nach vier Jahren Leistungsdruck und einem Umzug ist oder ob ich einfach nur mal wieder mit dem Winter kämpfe – ich bin gerade einfach nicht in der Lage, großartige Dinge von bleibendem Wert zu schaffen. Es ist nicht die Zeit der großen Kunststücke. Es ist die Zeit, meine Schuhe anzuziehen und Kreise durch die Landschaft zu ziehen.

Und damit habe ich meine erste Antwort auf die Frage, was ich tun werde. Laufen. Offenbar.

___
Dies ist übrigens mein 444ster veröffentlichter Blogpost, yeeey!

Hinter der Ziellinie

So.

Ich bin inzwischen quasi fertig mit meinem Bachelor in Psychologie. Es fehlen noch ein paar Kleinigkeiten hier und da, aber das ist ein entspannter Sonntagsspaziergang im Vergleich zu dem Marathon, der hinter mir liegt. Es war hart. Ich musste diesem Studium eine sehr hohe Priorität einräumen, um die Noten zu schreiben, die ich geschrieben habe. Ich brauchte diese Noten, denn im Psychologiebachelor gilt: Kein gutes Abschlusszeugnis – kein Masterplatz. Kein Masterplatz – kaum eine Zukunft im Berufsfeld Psychologie. Ich wollte nicht nur ein ausreichend gutes Zeugnis, um irgendwo in Deutschland einen Masterplatz zu bekommen. Ich wollte hier einen Masterplatz bekommen. Dementsprechend hart habe ich gearbeitet.

Und hey, ich habe es geschafft.

Jetzt liegt ein Jahr Leere vor mir. Der Master steht erst nächstes Jahr an. Das entstand aus ein paar unglücklichen Umständen, auf die ich keinen Einfluss hatte. Oder sind es wirklich unglückliche Umstände? Eigentlich bin ich sehr froh, diese Zeit zu haben.

Am meisten freue ich mich darauf, nichts erreichen zu müssen. Ich kann in diesem Jahr 12 Projekte anfangen, keines beenden, und es ist überhaupt nicht schlimm. Meine Zukunft hängt nicht davon ab, was ich momentan tue. Das ist unglaublich befreiend. Und mir sehr wichtig. Momentan ist Lebensqualität für mich, nicht produktiv sein zu müssen und nicht an meinen Leistungen gemessen zu werden.

Ich lerne mich neu kennen in dieser Zeit. Die erste große Erkenntnis ist, dass die veränderten Umstände gar nicht so große Auswirkungen auf mich haben wie ich erwartet hatte. Lange habe ich viele Treffen mit Freunden nicht entstehen lassen, weil ich keine Zeit hatte und mich auf die Uni fokussiert habe. Und das war auch richtig und ehrlich so. Jetzt stelle ich fest – auch wenn ich die Zeit habe, ich will gar nicht. Ich bin so viel lieber zu Hause und habe meine Ruhe.

In gewisser Hinsicht hat dieses Jahr bereits vor zwei Monaten angefangen, andererseits geht es gerade erst los. Die neuen Masterstudenten haben momentan ihre Ersti-Wochen. Für die geht es jetzt weiter. Ich bleibe jetzt erst mal hier.

Ich freu mich drauf.